Rezension: Grazer Wut | Robert Preis

Blood on Snow auf steirisch

 
Während ein Schneesturm von biblischem Ausmaß die Umgebung von Graz heimsucht, spült eine Gefängnisrevolte das versunkene Böse zurück an die Oberfläche der Gesellschaft. Kurz darauf wird Mordermittler Armin Trost von Unbekannten entführt – und zum Spielball eines perfiden Racheplans. Eingeschlossen in ein winterliches Bergdorf muss er einsehen, dass nicht nur sein eigenes Leben in Gefahr ist, sondern auch das seiner Familie. Und dann schnappt die Falle zu. Die Falle, die dem Ermittler den Verstand raubt . . . [Text & Cover: Emons Verlag]

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Robert Preis betreibt als erfahrener Redakteur der Kleinen Zeitung eine Rubrik, in der er sich anhand einzelner Begebenheiten oder Persönlichkeiten mit der Geschichte des Landes Steiermark beschäftigt. So ist er im Jahr 2016 auch auf Geistthal, einen kleinen Ort im Nordwesten der Landeshauptstadt Graz gestoßen. Ein erster Blickfang sind zwei ausgestopfte Bären, die aus dem Dachfenster des mittelalterlichen Amtshauses schauen. In diesem befindet sich auch die Keichen, ein feuchtes Verlies, in dem Delinquenten durch eine Luke mitverfolgen konnten, wenn über sie zu Gericht gesessen wurde. Die Legende um ein gekreuzigtes, bärtiges Mädchen ergänzt die mit Legenden angereicherte Luft, die den Ort durchweht und den Autor wohl zu seinem neuen Roman inspiriert hat.

In seiner Abgeschiedenheit bietet sich Geistthal geradezu an, um die beklemmende Stimmung sozialier Isolation zu erzeugen. Indem er den Ort durch einen Schneesturm und eine beschädigte Straße von der Außenwelt abschneidet, verwandelt ihn der Autor in ein gitterloses Freiluftgefängnis - eine Parallele zu dem unterirdischen Verlies. Die von folkloristischen Elementen einer bäuerlich und handwerklich geprägten Gesellschaft durchsetzte Atmosphäre weckt bei Figuren wie Lesern gleichermaßen archaische Ängste. In seinem mittlerweile fünften Einsatz wird nun der Grazer Ermittler Armin Trost durch eine aufwendige Inszenierung an einen solchen Ort gelockt und mit einem Widersacher konfrontiert, der von tief sitzendem, persönlichem Groll getrieben wird:

"Du hast mich fallen gelassen. Das, mein guter, alter Freund, habe ich dir nie vergessen. Die vielen kleinen Abenteuer, die du in den letzten Stunden erlebt hast, habe ich ausschließlich für dich arrangiert." (S. 188)

Diese Situation der Ausweglosigkeit, des Ausgeliefertseins bildet das Zentrum des Romans, in dem ein Höchstmaß an Spannung erzeugt wird. Obwohl der Autor viel an Erzählzeit dafür aufwendet, diese zu erzeugen, fühlt sich der Leser in keinem Moment in der erzählerischen Warteschleife. Dies ist einerseits dem draufgängerischen, eigensinnigen Armin Trost als Hauptfigur, andererseits den zahlreichen skurrilen Charakteren neben ihm zu verdanken, die sich in ihrem Verhalten jeder Erwartungshaltung des Lesers entziehen.

Ein stotternder Einsiedler, der nur um des Protestierens willen im Schneesturm auf der Landstraße - wogegen auch immer - protestiert, gewinnt beinahe allegorischen Charakter. Eine mit den körperlichen und charakterlichen Attributen einer Hexe ausgestattete Verschwörerin nimmt auch im Kopf des Lesers immer mehr die Züge der bösen Märchenfigur an, je öfter sie als solche bezeichnet wird. Ihnen gegenüber kämpft Armin Trost nicht nur um seine entführte Familie, sondern auch um seinen Verstand. In Anlehnung an die ruhelosen Helden des Hardboiled-Genres läßt Robert Preis seinen Protagonisten eine Vielzahl an Qualen erleiden, sodaß dieser schließlich ähnlich dringend medizinischer Zuwendung bedarf wie der von Bruce Willis verkörperte John McLane am Ende eines "Stirb Langsam"-Filmes. Dabei vollzieht sich auch eine charakterliche Entwicklung, die sich in feuriger Weise manifestiert.

Ähnlich wie die topographischen und meteorologischen Widrigkeiten beeinträchtigen auch bürokratische die Aufklärung des Falles. Ein gemütliches Sitzpolster beim Lesen wird zum Nadelkissen, wenn durch Streitereien um behördliche Zuständigkeiten oder Strafmandate für falsches Parken wertvolle Zeit verschwendet wird. Der Autor bleibt auch hier seinem Stil treu und karikiert den berüchtigten österreichischen Amtsschimmel zu einem furchteinflößenden Untier. Dieser Stil manifestiert sich in erster Linie in trockenem Zynismus und beiläufig in Nebensätzen vorgebrachter Gesellschaftskritik.

"Wer heutzutage in Österreich etwas auf sich hielt, der wusste mit dem Inhalt des Golfbags, das für jeden Besucher sichtbar im Büro zu stehen hatte, auch umzugehen." (S. 56)

Wiewohl die in und um Graz spielenden Krimis von Robert Preis als Regionalkrimis gehandelt werden, unterscheiden sie sich doch von typischen Vertretern des Genres. Wie auch die bisherigen Bände um Armin Trost, ist auch "Grazer Wut" definitiv nicht als Wander- und Brauchtumsführer mit Rahmenhandlung zu verstehen. Statt sonnenbeschienenen Gipfeln ist bei Preis ein immerwährendes Novembergrau des Grazer Beckens beinahe greifbar, in dem die unscharfe Grenze zwischen historischen Überlieferungen und schaurigen Sagen ausgelotet wird. Wo gerne in anderen Regionalkrimis die abschließende Wiederherstellung des ursprünglichen Idylls mit einem regionaltypischen Festmahl begangen wird, ist außerdem das Finale von "Grazer Wut" weder jugendfrei, noch appetitanregend.

Um einer Geschichte ihre lokale Färbung zu verleihen, ist es mittlerweile obligat, Nebenfiguren in einem Regiolekt sprechen zu lassen. Zuweilen drängt sich die Vermutung auf, der jeweilige Autor verrichte diese Pflichtübung nur widerwillig. Bei Robert Preis hingegen ergibt sich die direkte Rede aus der Geschichte und wirkt nicht wie eine Aufglage des Verlags. Je emotional aufgeladener die Situation, desto weniger können seine Figuren ihre Herkunft hinter anerzogenem Amtsdeutsch verbergen. Zuweilen ist auch ein gutes Stück des berühmten östereichischen Phlegmas zu spüren:

"Mir kummt scho laung nix mehr söltsam vor. Ich moch nur mei Orbeit." (S. 60)

Persönliches Fazit

Der Roman widersetzt sich wütend dem Regionalkrimi-Etikett, indem er mit dreckigen Figuren aufwartet und mit tiefsitzenden Ängsten kokettiert. Müßte man Robert Preis einem Genre zuordnen, müßte dessen Name "Kernöl-Thriller" lauten.

© Rezension: 2018, Wolfgang Brandner

Weitere Rezensionen: Die Geister von Graz 


Grazer Wut | Robert Preis | Emons Verlag
2017, Broschur, 272 Seiten, ISBN: 978-3-7408-0204-2

[wolfgang]  

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