Eine ganz normale Familie, normal dysfunktional.
Hans ist Anwalt, reich und erfolgreich. Doch auf einmal kehrt diese irrationale Wut in ihm zurück. Seine Ehe funktioniert nicht mehr und statt mit seiner neuen Psychoanalytikerin Frau Doktor Mandel-Minkic an seinen Problemen zu arbeiten, verliebt sich Hans in sie. Seine Schwester Masha ist 39 Jahre alt, als sie beschließt, ein Kind mit ihrem Freund zu bekommen. Doch plötzlich geht er ihr schrecklich auf die Nerven. Masha begibt sich auf die panische Suche nach einem neuen Mann, doch ihre Idee, im Bett den zukünftigen Vater ihres Kindes zu finden, ist zum Scheitern verurteilt.
Alexander und Barbara, die Eltern der ungleichen Geschwister, sind seit über vierzig Jahren leidlich glücklich verheiratet und müssen sich jetzt im Alltag eines Rentnerpaars einrichten. Während Alexander sich schon einsam fühlt, wenn seine Frau in ein anderes Zimmer geht, bleibt für sie nur die Flucht. Sie ahnt nicht, was sie damit in Gang setzt. [Text & Cover: © Kiepenheuer & Witsch]
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„Rimini“ lockte mich mit seinem Cover an, anders kann man es nicht sagen. Ich war auf Anhieb ganz angetan von dieser herrlich schrägen Gestaltung und wurde neugierig, um was es denn in diesem Buch geht. Ich habe den Klappentext gelesen und beschlossen, das ist ein Buch ganz nach meinem Geschmack.
Nanni vom Blog Fantasie & Träumerei erging es genau gleich und wir beschlossen spontan, „Rimini“ gemeinsam zu lesen und uns darüber auszutauschen. Gesagt - getan! Witzigerweise hatten wir immer ganz ähnliche Gedanken und Empfindungen, das Buch hat auf uns beide quasi gleichermassen gewirkt.
Sonja Heiss führ uns Leser erst einmal recht oberflächlich in die Geschichte ein. Man merkt jedoch, dass sie rasant schnell Fahrt aufnimmt und uns ihre Protagonisten schnell näher bringt. Ich spürte dieses Tempo, wollte ich doch auch immer schneller lesen, am Ball bleiben. Sie wechselt hin und her zwischen den einzelnen Handlungssträngen bzw. den Protagonisten und ihren Erlebnissen/Gedanken. Man versetzt sich gerade noch in eine Person hinein und wird direkt wieder herausgerissen und es geht zur nächsten Person - und wieder zurück. Das sorgt dafür, dass man „dranbleibt“, das Buch nicht aus der Hand legen mag.
Hans - ein erfolgreicher Anwalt mit Haus und Familie - ein echt klischeebeladener Mensch auf den ersten Blick, zu dem ich keinen besonderen Draht hatte. Die anfängliche Antipathie legt sich aber recht zügig, denn man bekommt mehr Einblick. Hans könnte der eigene Kollege/Nachbar/Kumpel sein, so lebensnah erscheint er - und nicht nur er, das passt auch auf seine Schwester Marsha, die zu Beginn eine recht anstrengende Persönlichkeit ist. Und da wären ja auch noch die Eltern der beiden, Barbara und Alexander.
Nanni und ich hatten beide einen heimlichen Liebling: nämlich besagten Alexander, den Vater von Hans. Barbara und Hans befinden sich im Ruhestand und können so gar nicht damit umgehen, sich nun den ganzen Tag lang zu sehen. Die beiden haben ein grundlegendes Problem: es hapert an der Kommunikation - und das schon ihr ganzes Eheleben lang. Aber nun im Ruhestand wird es ihnen zum Verhängnis. Beide suchen nach einer Lösung aus dieser Misere - natürlich jeder für sich selbst, wie sollte es auch anders sein. Barbara ergreift die Flucht und Alexander holt sich einen Wellensittich…
Zitat von Nanni aus unseren gemeinsamen Gesprächen zu dem Buch:
"Alexander ist meine Lieblingsfigur. Seine Versuche alles richtig zu machen, Barbara zu umsorgen und seine Liebe auszudrücken, war so einengend und gleichzeitig so rührend. Barbara hingegen hätte ich gerne mal geschüttelt und ihr gesagt, dass sie eben einfach mal den Mund aufmachen muss, statt in ihrer Lethargie und dem Wunsch nach dem perfekten Mann zu verharren."
Sonja Heiss lässt das Leben der Familie in Teilen Revue passieren und zeigt uns so auf, wie sich „der ganz normale Familienwahnsinn“ entwickelt hat und wie die Kinder ganz unbewusst die Eigenschaften oder Charakterzüge der Eltern übernehmen. Wenn man es dann entdeckt, kann gerne mal der Ärger hochkommen. Marsha und ihre Mutter Barbara sind das beste Beispiel dafür, dass man wohl im Laufe des Erwachsenwerdens irgendwann den Spiegel vorgehalten bekommt, wenn man den Eltern gegenüber steht.
Nanni hatte hierzu die gleichen Gedanken:
„Interessant, wie die Autorin darstellt, dass Kinder sich immer wieder in die Rollen fügen, die schon ihren Eltern auferlegt wurden bzw. wie sie Gewohnheiten der Eltern übernehmen, ohne von diesen zu wissen. Es gibt immer wieder Handlungen und Erlebnisse, die sich über Generationen wiederholen.“
Persönliches Fazit
Seien wir ehrlich: jede Familie ist doch ein klein wenig dysfunktional. Die eine mehr, die andere weniger. Sonja Heiss hat es geschafft, die Leser genau vor der eigenen Haustüre abzuholen. Eine Geschichte, wie sie realer kaum sein kann.
Es gibt immer wieder gewisse Punkte, wo man das Gefühl hat, sich oder jemand anderen aus der eigenen Familie wieder zu erkennen. Kleinigkeiten, aber dennoch. Die perfekte Familie gibt es nicht, auch wenn man denkt, dass die Maier/Müller/Schmitts von Gegenüber ja die Traumfamilie schlechthin sein müssen, so wie sie alle offensichtlich miteinander harmonieren, immer lächeln und ein erfülltes Leben zu haben scheinen. Familien versuchen gerne, nach aussen hin zu funktionieren, aber Heiss blickt ganz schonungslos und mit einer besonderen psychologischen Raffinesse hinter die Kulissen und das Ganze mit einem ganz tollen sarkastischen Ton versehen. Mal bitter-komisch, mal traurig, mal schwermütig, mal zum lachen - auf jeden Fall sehr unterhaltend!
Es war mir eine Freude, das Buch gemeinsam mit
Nanni zu lesen und der Austausch dazu hat großen Spaß gemacht. Nanni hat natürlich auch ihre Gedanken zu „Rimini“ aufgeschrieben -
HIER geht es zu ihrer Rezension.
© Rezension: 2017, Alexandra Stiller
Rimini | Sonja Heiss | Kiepenheuer & Witsch
2017, HC, 400 Seiten, ISBN 978-3-462-05044-8
[alexandra]Labels: Beitrag von Alexandra, Rezension, Roman