Nichts für schwache Nerven
Was verbindet einen Jugendlichen, der in den 70er Jahren in Kansas das Haus seiner schlafenden Eltern anzündet, einen New Yorker Stricher, der Jahrzehnte später den dreijährigen Sohn einer Kundin entführt, die Kellnerin in Indiana, die von einem grauenhaften Ereignis aus ihrer Vergangenheit eingeholt wird, und den Ehemann, der auf der anderen Seite des Atlantiks rasend vor Eifersucht seine Frau umbringt? Kapitel für Kapitel, Geschichte für Geschichte führt J. Fel den Leser hinein in ein beängstigendes Labyrinth: Im Epizentrum des von den USA bis nach Europa wabernden Bösen steht der Psychopath, eiskalte Mörder und Gangsterboss Walter Kendrick. [© Text und Cover:
dtv Verlag]
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Wenn ich sehe, wie Daryl das Haus seiner Eltern anzündet und ihnen einen grausamen Tod beschert, läuft es mir schon kalt den Rücken runter. Da weiß man gleich, in welche Richtung dieses Buch geht. Menschen, die so emotionslos und ohne Mitgefühl morden, nennt man wohl Psychopathen. Von diesen ebenso abstoßenden wie faszinierenden Persönlichkeiten treffen wir in diesem Thriller gleich mehrere, jede mit einem anderen Hintergrund. Was sie gemeinsam haben, ist, dass ihre Hemmschwelle zum Töten sehr gering ist.
„Als er das hört, dachte er daran, wie ihn manchmal die Angst überkam, eines Tages selbst in der Klapse zu landen, denn wenn seine Eltern ihn aus irgendeinem Grund ausschimpften, bereitete es ihm bisweilen ein geradezu diabolisches Vergnügen, sich vorzustellen, dass die beiden dasselbe Schicksal ereilte wie die Eltern von Daryl Greer." (S. 253)
Was mir an Jérémy Fels Debüt sehr gut gefallen hat, ist die ungewöhnliche Struktur. Er erzählt mehrere Geschichten gleichzeitig, und das verteilt auf England, Frankreich und die USA. Da drängt sich mir die Frage auf, was die miteinander zu tun haben. Ein großes Finale, an dem die Fäden alle zusammenlaufen, bleibt allerdings aus. Die Verbindungen bleiben eher lose. Und doch scheint Daryls Tat im Jahr 1979 eine Art Auslöser gewesen zu sein. Das ergibt einen cleveren Plot, der alles andere als von der Stange kommt und mich zum Mitdenken herausfordert.
„Die Wölfe kommen" hat auf mich eine starke Sogwirkung. Das liegt zum einen an den packenden Ereignissen, aber auch an der gekonnten Schreibweise. Jérémy Fels weiß, wie man Spannung erzeugt. Ständig habe ich das Gefühl, dass gleich etwas Übles passiert, vor allem, wenn es sich gerade zum Guten zu wenden scheint. Genau das erwarte ich von einem guten Thriller. Für mich darf es in einem Buch auch mal härter zur Sache gehen, mit ein paar brutalen Szenen wartet der Roman schon auf. Das allerdings nicht, um Gewalt zu verherrlichen, sondern um Abscheu davor hervorzurufen. Bei mir hat das jedenfalls funktioniert. Wenn ich mir vorstelle, dass es Leute unter uns geben könnte, die ein solches Potenzial haben und man es ihnen nicht ansieht, erzeugt das bei mir Gänsehaut.
Persönliches Fazit
„Die Wölfe kommen" ist ein harter Thriller, der mich mit seiner ungewöhnlichen Struktur und seiner packenden Erzählweise sehr fesseln konnte. Ein überzeugendes Debüt.
© Rezension: 2017, Marcus Kufner
Die Wölfe kommen | Jérémy Fel | dtv Verlag
2017, broschiert, 400 Seiten, ISBN: 9783423261432
Aus dem Französischen von Anja Nattefort
[marcus]
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