Eine Seele in zwei Körpern – Perle und Stasia sind zwölf und unzertrennlich, als sie 1944 deportiert werden. Doktor Mengele sucht eineiige Zwillinge für seinen "Zoo". Um zu überleben, flüchten sich die Geschwister in magische Welten, schmeicheln sich sogar beim Arzt ein. Doch eines Tages, kurz vor der Befreiung, verschwindet Perle und ein unheilbarer Riss geht durch Stasia. Zusammen mit Feliks, einem weiteren Opfer Mengeles, reist sie durch die verwüsteten Landschaften Polens auf der Suche nach ihrer Schwester. In der eindringlichen Sprache eines Märchens behauptet Affinity Konars „Mischling" noch im Abgrund des Grauens die Kraft der Fantasie, des Widerstands und der Hoffnung. [© Text und Cover:
Hanser Verlag]
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Von den unmenschlichen Machenschaften der Nationalsozialisten zur Vernichtung von Juden und weiterer Gruppen stechen die grausamen Experimente, die Josef Mengele „im Zeichen der Wissenschaft" vorgenommen hat, noch hervor. Für mich ist es unvorstellbar, dass man Männern, Frauen und Kindern die menschliche Würde einfach abspricht, was diesem „Arzt" Foltermethoden ohne jede Ethik oder Moral ermöglicht hat. Wie viele andere Mehrlinge finden sich auch Stasia und Perle, getrennt von ihrer Familie, in seinen Fängen wieder und müssen nicht nur einen Weg finden, sich mit den Entbehrungen des Konzentrationslagers und der ständigen Konfrontation mit dem Tod zu arrangieren, sondern auch noch irgendwie die Stärke aufbringen, um die medizinischen Versuche zu überstehen.
„»Du bist sehr bleich. Wie fühlst du dich?«
Schuldig, wollte ich sagen. Als ob alles, das gut und lebenswert war, von mir abgefallen und ich dem Tod entkommen wäre, indem ich dem Leben den Rücken zugewandt hatte. Alle Zellen in meinem Körper schrien auf, und ich wusste, dass sie nicht meinetwegen schrien, sondern um derer willen, die schon verloren, und derer, die todgeweiht waren, und hier war ich, die in der Welt des Arztes nicht existieren sollte, und doch..." (S. 75)
Sicher wäre es naiv anzunehmen, dass am Tag der Befreiung von Auschwitz durch die sowjetische Armee alle Gefangenen jubelnd nach Hause fahren würden. Was das tatsächlich bedeutet hat, wird mir durch Stasias und Perles Schicksal näher gebracht. Lebt noch jemand aus der Familie? Ist es überhaupt möglich, dass die Zwillingsschwester die „Behandlungen" Mengeles überstanden hat? Eine quälende Ungewissheit. Und was fängt man jetzt an mit dieser Freiheit in diesem zerstörten Polen? Wie sollen die Kinder an etwas zu essen kommen? Äußerst eindringlich werden mir diese Fragen vor Augen geführt. Trotz der sehr schwierigen Umstände und den erlebten Grausamkeiten, trotz all der Verzweiflung, haben die Zwillinge aber immer noch die Hoffnung, ein Stück davon wiederzubekommen, was sie durch die Nazis verloren haben.
Um sich mit dieser dunkeln Vergangenheit auseinanderzusetzen, wird in Büchern oft ein sachlicher und direkter Schreibstil verwendet. Affinity Konar macht das anders. Sie erzählt abwechselnd aus den Perspektiven von Stasia und Perle. Das erlaubt manchmal eine beinahe poetische Sicht auf den tobenden Kampf zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Sie stellt nicht die Fakten in den Vordergrund, sondern wie die beiden mit dem Grauen, das sie erdulden müssen, umgehen. Trotzdem oder gerade deswegen wird mir das Ausmaß davon bedrückend bewusst. Was mir besonders positiv aufgefallen ist, dass hier nicht die Täter sondern die Opfer im Mittelpunkt stehen. „Mischling" wird dadurch zu einem sehr gehaltvollen Buch, das meine ganze Aufmerksamkeit erfordert hat und noch lange nachklingen wird.
Persönliches Fazit
Mich hat „Mischling" sehr beeindruckt. Die Erzählperspektive aus Sicht der Zwillinge konnte mich sehr fesseln und bringt die ins Gedächtnis, die die Aufmerksamkeit auch verdienen: die Opfer der unsäglichen Machenschaften der Nationalsozialisten. Affinity Konars wundervoller Schreibstil macht das Buch letztlich zu einem nachhaltigen und außergewöhnlichen Leseerlebnis.
© Rezension: 2017, Marcus Kufner
Mischling | Affinity Konar | Hanser Verlag
2017, gebunden, 368 Seiten, ISBN: 9783446256460
Aus dem Englischen von Barbara Schaden
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[marcus]
Labels: Beitrag von Marcus, gegen das Vergessen, Rezension, Roman