Rezension: Der Gentleman | Forrest Leo

Wenn der Teufel zu Besuch kommt…



London, Pocklington Place, um 1850: Lionel Savage, Dichter, gerade einmal 22 Jahre alt, hat beschlossen, Selbstmord zu begehen, da er des Geldes wegen geheiratet hat und danach feststellen musste, dass er seitdem keine Zeile mehr zu Papier bringen kann. Er zieht seinen Butler Simmons zurate, weil er nicht weiß, wie er den Selbstmord genau angehen soll. Der einfachste Weg scheint ihm der Tod durch Kopfschuss zu sein. Doch Simmons gibt zu bedenken, dass dabei allerlei Körperflüssigkeiten austreten würden, die jemand aufwischen müsste. Da Savage seinem treuen Butler eine solche Schweinerei nicht zumuten will, muss er eine andere Lösung für sein Problem finden. Just in dem Moment spaziert ein freundlicher Gentleman in sein Arbeitszimmer, der sich als der Teufel höchstpersönlich entpuppt. Und bevor er sich versieht, hat Savage seine Ehefrau an ihn verkauft. So glaubt er zumindest. Doch kaum ist die Ehefrau verschwunden, stellt Savage fest, dass sie die Liebe seines Lebens ist. Er muss sie wiederfinden. Nur wo zum Teufel soll die Hölle sein? [© Text und Cover: Aufbau Verlag]

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Lionel scheint ein typischer Vertreter der gehobenen Gesellschaft Londons Mitte des 19. Jahrhunderts zu sein. Leidlich erfolgreich als Dichter kann er trotz seiner Jugend scheinbar nichts mehr mit sich anfangen. Suizid aus Langeweile scheint die Krönung der Ideen dieses selbstbezogenen Fatzkes zu sein. Überhaupt beschäftigt er sich am allerliebsten mit sich selbst, es sei denn, andere können etwas für ihn tun. Trocken und stets aufgeräumt kontert ihm sein alter Butler Simmons bei jeder Gelegenheit – das sind sehr amüsante Dialoge. Überhaupt ist die Ausarbeitung der Charaktere sehr stimmig. Man merkt an der Intensität der auftretenden Personen, dass die Handlung zunächst für das Theater konzipiert wurde.

Zu Beginn habe ich mich noch gewundert, wieso da ständig Fußnoten angebracht worden sind. Die stören doch eigentlich den Lesefluss. Es sind Anmerkungen des (fiktiven) Herausgebers, der von Savage genötigt wurde, sein Buch zu veröffentlichen. Der gehört auch noch zur angeheirateten Verwandtschaft und ist kein Fan des Dichters. Dem gibt er bei jeder Gelegenheit in Form der Fußnoten Ausdruck und sorgt dadurch für einige Lacher. Ein Stilmittel, das viel zum Humor des Buchs beiträgt. 





Herrlich ist auch die affektierte Sprache, in der der Text gehalten ist. Die ist „very british" und macht die Zeit, den Ort und die Personen sehr lebendig. Diese Sicherheit in der Ausdrucksweise hätte ich von einem amerikanischen Autor nicht erwartet.

„Ich beschäftige mich mit Kunst, was zwar nicht unbedingt das ist, was ich gerade am liebsten tun würde, aber ich wurde sitzengelassen und hatte nichts zu tun, also hab ich die Dinge selbst in die Hand genommen. Und jetzt, da ich mich erklärt habe, wozu ich eigentlich nicht verpflichtet gewesen wäre, was ich aber aus der Erinnerung an die Zuneigung heraus getan habe, die ich einst für dich empfand, könntest du dich revanchieren und mir erzählen, wo du die ganze Nacht gesteckt hast." (S. 217)




Der Auftritt des Teufels ist in dieser Geschichte recht ungewöhnlich. Bei seinem Besuch gibt er den perfekten Gentleman. Trotz logischer Bedenken nimmt Savage ihm seine Identität ab, an einem so vollendeten Gentleman zweifelt man doch nicht! Diese Begegnung veranlasst ihn zu einem waghalsigen Abenteuer und liefert uns eine erheiternde, groteske Geschichte, in der es doch letztendlich, wie sollte es anders sein, um die große Liebe geht

Persönliches Fazit

Einfach herrlich, wie Forrest Leo das London der damaligen Zeit durch die Sprache und durch das Verhalten seiner Charaktere wiederbelebt. Die Anmerkungen des Herausgebers und die trockenen Kommentare des Butlers sind sehr amüsant und machen die skurrile Geschichte zu einem großen Lesevergnügen.

© Rezension: 2017, Marcus Kufner

Der Gentleman | Forrest Leo | Aufbau Verlag
2017, gebunden, 296 Seiten, ISBN: 9783351036737
Übersetzt von Cornelius Reiber

[marcus]

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