In London macht der Knochensammler Jagd auf den kleinen Jackey, der am Münchmeyer-Syndrom leidet, einer Krankheit, die seinen Körper langsam verknöchern lässt. Und ihn einschließt in ein Knochengefängnis. Der Knochensammler ist gut vorbereitet. Er hat bereits ein Kind entführt. Er kommt Jackey jeden Tag ein Stückchen näher, unbemerkt, unerkannt. Und dann schlägt er zu. Jackey ist verschwunden, und der Wettlauf um sein Leben beginnt ... [© Text und Cover:
S. Fischer Verlage]
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Gibt es etwas fieseres als Kinder zu entführen? Bei „Der Knochensammler" haben wir es gleich mit zwei Fällen zu tun. Erst holt sich der Täter die sechsjährige Sarah und danach plant er das Kidnapping des fünfjährigen Jackey. Das schürt bei mir gleich Emotionen. Wie kann der Kerl das den Kindern und deren Familien nur antun?
Die Antwort darauf kann man ja schon im Titel lesen. Der Entführer ist fasziniert von jedem menschlichen Körper, der nicht der Norm entspricht. Besonders eher seltene Knochenkrankheiten, wie die, unter der Jackey leidet, wecken seinen Sammlertrieb. Ein solches „Objekt" will er unbedingt in eine Vitrine stellen. Dabei begnügt er sich nicht damit, Leichen aus Krankenhäuser zu stehlen. Er hat überhaupt keine Skrupel, seine Sammlerstücke lebend einzufangen. Das Töten scheint für ihn kein Problem darzustellen. Für ihn sind die Opfer nur Raritäten, Dinge, die in sein privates Museum gehören. Dieses Ziel verfolgt er mit größtem Eifer.
„Sein Vater fand, dass es lehrreich für ihn wäre, beim Präparieren eines Exponats dabei zu sein und ihm dabei zuzusehen, wie er den Leichnam mit dem Y-Schnitt öffnete und die unterschiedlichen Organgruppen entnahm: die aus der Brusthöhle, die aus der Bauchhöhle und die Harn- und Geschlechtsorgane. Er war damals zehn Jahre alt." (S. 238)
Von dem Knochenthema geht eine morbide Atmosphäre aus. Wer schon mal die Körperwelten besucht hat, kann das vielleicht nachfühlen. Als medizinischer Laie finde ich das einerseits faszinierend, wie extrem sich ein Körper oder Teile davon entwickeln können. Andererseits ist da aber auch ein gewisses Unbehagen beim Betrachten solcher Objekte, schließlich sind die ja alle echt.
Jackeys Eltern möchten ihm trotz seiner körperlichen Einschränkungen soweit es geht eine normale Kindheit ermöglichen. Allerdings ist ihr Beschützerinstinkt stark ausgeprägt. Jede Verletzung kann für Jackey schwere Folgen haben. Seine heimtückische Krankheit belastet die beiden seit seiner Geburt schwer. Ihre Beziehung hat seither nie wieder die selbstverständliche Leichtigkeit wie zu der Zeit davor erlangt. Und trotzdem lieben sie ihren Sohn sehr. Fiona Cummins legt den Fokus des Buchs gerade auf diese Zerrissenheit und auf das psychologische Profil der beiden betroffenen Familien. Auch mit Sarahs Eltern hoffen und leiden wir mit, da kommen auch unterschwellige Konflikte ans Licht. Nicht zu Letzt hat auch die Ermittlerin Etta Fitzroy eine Vorgeschichte, die ihren leidenschaftlichen Kampf für die entführten Kinder begründet.
Dieses bemerkenswerte Einfühlungsvermögen ist eine Stärke des Thrillers und trägt die Spannung durch das Buch. Die Story selber macht das weniger, die ist ziemlich linear und bietet kaum Raffinessen. Von den wenigen Wendungen wirkt manche doch etwas erzwungen. Auch die Ermittlungsarbeit besticht nicht durch höchste Herausforderungen und hätte einfallsreicher ausfallen können.
Persönliches Fazit
Der Plot von „Der Knochensammler" hätte mit etwas mehr Einfallsreichtum und mehr Wendungen spannender ausfallen können. Die psychologische Ausarbeitung der Folgen für die Familien der entführten Kinder und das Einfühlungsvermögen erzeugen aber eine hohe emotionale Dichte, die den Thriller verbunden mit seiner morbiden Atmosphäre trotzdem lesenswert macht.
© Rezension: 2017, Marcus Kufner
Der Knochensammler – Die Ernte | Fiona Cummins | S. Fischer Verlage
2017, broschiert, 480 Seiten, ISBN: 9783651024991
Aus dem Englischen von Birgit Schmitz
[marcus]Labels: Beitrag von Marcus, Rezension, Thriller