Rezension: Das Licht und die Geräusche | Jan Schomburg



Es ist Johanna schleierhaft, warum sie und Boris kein Paar sind. Klar, eigentlich ist Boris mit Ana-Clara zusammen, aber die ist weit weg in Portugal, während Johanna und Boris jede freie Minute miteinander verbringen und über alles reden, außer darüber, warum sie sich noch nicht geküsst haben. Johanna versteht das nicht, und das nervt sie. Und sie will auch verstehen, warum Marcel sich auf der Klassenfahrt nach Barcelona einen Mitschüler wie einen Knecht hält, warum Boris die ganze Zeit kichern muss, während ihn vier Typen auf der Tanzfläche eines Clubs zusammenschlagen wollen, und warum er nach dieser Nacht am See plötzlich verschwunden ist. Gemeinsam mit Ana-Clara und Boris' Eltern sucht Johanna in Island nach Boris und findet heraus, dass viele Dinge ihr Wesen verändern, je länger man sie betrachtet. Und dass Ana-Claras Augen doch nicht so ausdruckslos sind, wie sie immer gedacht hat. [© Text und Cover: dtv Verlag]

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Wie verwirrend ist doch das Dasein für einen Teenager! So geht es zumindest Johanna, die uns als Ich-Erzählerin ein Stück weit an ihrem Leben teilhaben lässt. Im Mittelpunkt steht ihre Beziehung zu ihrem Mitschüler und besten Freund Boris. Er ist ein besonderer Mensch, und Johanna versucht immer wieder, ihn zu verstehen. Und auch zu verstehen, wieso sie noch kein Paar sind. Ist die Verbindung zu seiner im fernen Portugal lebenden Freundin wirklich so ernst? 

„Wenn ich Ana-Clara lieben kann, wenn ich etwas Liebenswertes an ihr entdecken kann, dann kann ich Boris weiter lieben. Wenn ich nichts finde, was sich lieben lässt, kann ich Boris nicht mehr lieben. So einfach ist das, sage ich mir." (S. 16)

Immer wieder gibt es Sprünge in der Zeit zurück, beispielsweise als Boris neu in Johannas Schule kam oder zur Klassenfahrt nach Spanien. Das verlangt meine Aufmerksamkeit, damit ich weiß, wo und wann wir uns gerade befinden, dient aber gut der Charakterisierung der Protagonisten. Jan Schomburg geht dabei tief in die Psyche seiner Darsteller, die sich ihr Verhalten oft selbst nicht so richtig erklären können. Das ist so fesselnd, dass die Handlung selbst eher vernachlässigt werden kann.






Dazu passt der Sprachstil: Johanna umschreibt den Kern ihrer Überlegungen ganz gerne. Das führt häufig zu Verschachtelungen, bei denen sie sich im Kreis zu drehen scheint. In Verbindung mit ihrer jugendlichen, etwas abgerissenen Ausdrucksweise hat mir dieser ungewöhnliche Stil sehr gut gefallen.

„Ich kann nur verlieren, wenn ich jetzt etwas sage. Und das liegt daran, dass ich eigentlich verstehen müsste, was gerade passiert. Zumindest habe ich das Gefühl, dass Boris voraussetzt, dass ich Bescheid weiß. Und obwohl ich überhaupt nicht Bescheid weiß, sage ich lieber nichts, damit wenigstens die Möglichkeit bestehen bleibt, ich würde es wissen. Aber ich habe echt keine Ahnung, was gerade in Boris vorgeht." (S. 134)

Persönliches Fazit

„Das Licht und die Geräusche" ist ein Roman, der weniger von einer dramatischen Geschichte, dafür aber von der feinsinnigen Charakterisierung der Darsteller getragen wird. Die Wirrungen und Irrungen der Jugend hat Jan Schomburg in eine dazu passende Sprache umgesetzt, die ausgesprochen gut die Gedanken und Gefühle der jungen Erzählerin vermittelt.

© Rezension: 2017, Marcus Kufner

Das Licht und die Geräusche | Jan Schomburg | dtv Verlag
2017, gebunden, 256 Seiten, ISBN: 9783423431897


[marcus]

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