Vor kurzem ist der neue Roman von
Claudia Rossbacher, "Steirerpakt", erschienen, und pünktlich am Erscheinungstag führte mein Weg von der Arbeit direkt in die Buchhandlung. Es war ein Mittwoch, und die erste Gelegenheit, das Buch aufzuschlagen, ergab sich dann am Freitag. Der Anlaß sollte standesgemäß begangen werden, als musikalische Untermalung erschien mir daher die jüngst erschienene MTV-Unplugged-Session von Andreas Gabalier adäquat. Ein steirischer Künstler, von einem Label geadelt, unter dem nur wenige publizieren ... warum nicht.
Folgendes Bild dazu, vorsichtig mit "
Experiment Steirerabend" betitelt, publizierte ich bei dieser Gelegenheit auf Twitter.
Die Reaktionen darauf waren skeptisch, gilt der selbsternannte "Volksrock'n'Roller" doch als ideologisch am Nationalismus orientiert und einem nicht mehr ganz zeitgemäßen Wertesystem anhängend. Ein dankbarer Reibebaum also für jene, die als Gallionsfigur regierungsskeptischer, rechter Bewegungen erachten. (Zur Ergänzung nur dazu: Der Genannte bezieht in Interviews bewußt keine politische Position, das könnte man Gleichgültigkeit oder - eleganter ausgedrückt - Äquidistanz nennen)
Gehöre ich also zu jenen, die auf die Entwicklungen der Zeit mit Trotz reagieren, weil sich diese CD in meinem Player befindet? Welchen Schluß würde man ziehen, wenn ich meine Lektüre mit alpinen Ziehharmonikaklängen unterlegt hätte? Oder mit den Toten Hosen? Oder Pink Floyd? Und wäre mir der geistige Weg zum Tatort des Romans, einem historischen Sessellift in der Obersteiermark schwerer gefallen, hätte ich mich für Didgeridoo-Klänge aus der Abteilung Weltmusik entschieden?
In der Tat kann der richtige Soundtrack den Zugang zu einem Buch erleichtern, den emotionalen Boden des Rezipienten bereiten, auf daß die Blüten der Geschichte umso farbenprächtiger gedeihen. Naheliegend ist diese Assotiation naturgemäß bei bereits verfilmten Büchern, wo zu den Bildern im Kopf auch schon die Tonspur bespielt ist. Michael Endes Phantásien begleitet von den Klängen von Klaus Doldiger ist definitiv eine erneute Reise (auf dem Rücken eins Glücksdrachen) wert. Beim Neu- und Wiederentdecken von Mario Puzo läuft das berühmte Thema von "Der Pate" von Ennio Morricone und Nino Rota ohnehin in einer Endlosschleife. In manchen Regalen findet sich ja noch Margret Mitchell - das dauergänsehautverursachende Thema von Max Steiner (bekannt aus dem Film zu "Vom Winde verweht") verleiht nicht nur Südstaatendramen die letzte dramatische Nuance. Darf es ein Auffrischungskurs in "Verteidigung gegen die dunklen Künste" sein? John Williams Glockenklänge wehen durch die Luft, wenn sich die Tore von Hogwarts öffnen. Das ganze funktioniert natürlich auch in die andere Richtung: Rachel Portmans Melodie zu "Gottes Werk und Teufels Beitrag" wirft mich gedanklich unmittelbar wieder in die letzten Kapitel von John Irvings gleichnamigem Roman.
Um auf John Williams zurückzukommen, der Autor gleichen Namens wurde kürzlich wiederentdeckt. Sein 1965 erstmals erschienener Roman "Stoner" portraitiert die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts anhand der Biographie eines Literaturwissenschafters. Ein Stück amerikanischer Zeitgeschichte, dem ein Poet wie Neil Young die richtige Stimmung verleihen könnte. Oder gar der kürzlich gekürte Literaturnobelpreisträger? Wer gerne mit Donna Leon durch die Kanäle gondelt, wird vermutlich Antonio Vivaldi zu schätzen wissen, und Romane von Nick Hornby sollten eigentlich grundsätzlich mit einem aktuellen Querschnitt durch den Britpop auf CD ausgeliefert werden. Vorgetragen am besten in einem Akzent, den man erst ansatzweise zu verstehen beginnt, wenn man mindestens drei Jahre in London gelebt hat. Manche Autoren setzen die Musik in ihren Büchern aber auch ganz bewußt ein, um eine zusätzliche Möglichkeit zum Stimmungsaufbau zu gewinnen und vertrauen darauf, daß ihre Leser den Empfehlungen folgen. Durch Stefan Ahnhem bin ich etwa kürzlich auf die schwedische Sängerin Lykke Li gestoßen, und Tess Gerritsen komponierte das zentrale Musikstück ihres letzten Romans "Totenlied" gleich selbst.
Aber nochmals zu eingangs erwähntem Experiment: Obwohl die Herzen der Autorin und des Mannes mit den karierten Hemden deutlich hörbar für die Steiermark schlagen, ist der Takt doch ein unterschiedlicher. Vielleicht versuche ich es beim nächsten Mal mit einer klassischen Hommage an das ländliche Leben, der sechsten Symphonie von Beethoven. Oder noch passender: Einer Band namens "Reichenstein 2165", die aus dem Ort der Handlung stammt und träumerische Instrumentalmusik produziert.
Liebe Leserinnen und Leser, wie haltet ihr es mit der Musik zum Lesen? Hilft euch die richtige Melodie, noch tiefer in das jeweilige Buch einzutauchen, oder ist eurer Lieblingsleseplatz ein Ort der Stille? (Es muß ja nicht gleich Richard Wagner zur mittelhochdeutschen Ausgabe der Nibelungensage sein...)
Freudiges Weiterlesen, -hören und -träumen!
Wolfgang Brandner
[wolfgang]