Rezension: Tage zwischen Ebbe und Flut | Carin Müller


Felix ist 70 Jahre alt. Er spricht aus, was niemand zu sagen wagt, und tut, was sonst niemand tun würde. Seine Erinnerungen sind wie Wellen in seinem Kopf, wogend, nicht festzuhalten. Denn Felix hat Alzheimer. 
Um ihm einen Herzenswunsch zu erfüllen, machen seine Ehefrau Ellen, seine Tochter Judith und seine Enkelin Fabienne mit ihm eine Kreuzfahrt. Doch während Felix die Reise als wunderbares Abenteuer erlebt, wird für die drei Frauen die Seereise zu einer Seelenreise durch schwere Gewässer, aber mit Kurs auf sonnige Gefilde. [© Text und Cover: Knaur Verlag]


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Eine Familie mit drei Generationen auf einer Kreuzfahrt durchs Mittelmeer, das kommt mir vor wie eine Traumschiffepisode. Dieser Eindruck wird durch die Leichtigkeit der Schreibart der Autorin noch verstärkt. Und doch ist das Buch mehr als ein seichter Unterhaltungsroman, denn wir werden mit Felix' Alzheimererkrankung konfrontiert. Einer heimtückischen Krankheit und ein Thema, dem man doch lieber aus dem Weg gehen würde. Ein Buch, das das als roten Faden hat, kann einen doch nur herunterziehen, oder? - Nein, muss es nicht. Carin Müller schafft es, das Dilemma von Felix und seiner Familie in einen leichten Ton zu packen, ohne dabei die Belastung für die Betroffenen herunterzuspielen.

„Wie schrecklich muss das sein, wenn der geliebte Partner Stück für Stück verschwindet und nur noch eine leere Hülle bleibt? … Im Grunde ist das alles Trauer am lebenden Objekt, denn meinen Vater gibt's schon lange nicht mehr." (S. 127)

Dass da das Nervenkostüm darunter leidet, merkt man Felix' Frau Ellen an. Häufig ist sie im Buch „schmallippig" und damit sehr gereizt. Dazu kommt, dass sie und ihre Tochter Judith kein gutes Verhältnis haben. Die beiden zanken sich so oft, dass ich den beiden zurufen möchte, sie sollen sich zum Wohl aller doch bitte mal zusammenreißen. Aber das schaffen sie einfach nicht, damit gehen sie mir mit der Zeit auch auf die Nerven.



Sehr gut kann ich mich nach der Lektüre in Felix' Lage hineinversetzen. Die Auswirkungen der Krankheit schwanken, und in den guten Momenten merkt er sehr wohl, dass er nicht mehr der Mann ist, der er war. Das tut ihm vor allem für seine Frau leid, für die seine unberechenbaren Verhaltensweisen unglaublich anstrengend und in der Öffentlichkeit sehr peinlich sind. Es gelingt ihm nur noch selten, Gedanken festzuhalten und so zu formulieren, wie er es gewohnt war. Und doch überrascht er immer wieder die anderen, wenn ihm eine klare, logische Aussage gelingt. 


Persönliches Fazit

Carin Müller gelingt es, mir Alzheimer und die Auswirkungen dieser Krankheit für die Betroffenen auf leichte und unterhaltsame, aber trotzdem nachhaltige Art näher zu bringen. Eine sehr empfehlenswerte emotionale Kreuzfahrt.

© Rezension: 2017, Marcus Kufner 

Tage zwischen Ebbe und Flut | Carin Müller | Knaur Verlag
2016, Taschenbuch, 288 Seiten, ISBN: 9783426519738







[marcus]

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