Rezension: Todesmärchen | Andreas Gruber

Sneijder und Nemez sind zurück!


In Bern wird die kunstvoll drapierte Leiche einer Frau gefunden, in deren Haut der Mörder ein geheimnisvolles Zeichen geritzt hat. Sie bleibt nicht sein einziges Opfer. Der niederländische Profiler Maarten S. Sneijder und BKA-Kommissarin Sabine Nemez lassen sich auf eine blutige Schnitzeljagd ein - doch der Killer scheint ihnen immer einen Schritt voraus. Währenddessen trifft die junge Psychologin Hannah im norddeutschen Steinfels ein, einem Gefängnis für geistig abnorme Rechtsbrecher. Sie soll eine Therapiegruppe leiten, ist jedoch nur an einem einzelnen Häftling interessiert: Piet van Loon. Der wurde einst von Sneijder hinter Gitter gebracht. Und wird jetzt zur Schlüsselfigur in einem teuflischen Spiel ... [Text & Cover: © der Hörverlag]

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WARNUNG: Diese Rezension enthält massive SPOILER.

Maarten S. Sneijder ... mit dieser Figur ist Andreas Gruber ein Coup gelungen, um den ihn wohl einige seiner schreibenden Kollegen beneiden. Mit Attributen ausgestattet, die es einem real existierenden Menschen erschweren würden, spontane Freundschaften zu knüpfen, ist er paradoxerweise zum Liebling der Leserschaft avanciert. Er ist arrogant, behandelt andere von oben herab und bekämpft seine chronischen Kopfschmerzen mit dem Konsum von Marihuana, was die Kommunikation mit ihm oft zu einem abenteuerlichen Unterfangen werden lässt. Und dennoch - oder gerade weil er damit weder dem Bild des biederen Dorfpolizisten, noch jenem des unverwüstlichen Actionhelden entspricht, sticht er aus der Masse der fiktiven Verbrechensbekämpfer hervor, bleibt dem Leser im Gedächtnis.

Diese Eigenschaft teilt er sich - dieser Exkurs sei gestattet - mit der Figur Jefferson Winter von James Carol. Bei näherem Hinsehen zeigen sich noch weitere Gemeinsamkeiten: Beide sind von sich selbst eingenommen, beide sind in direkter Linie mit einem Serienmörder verwandt und beide beschäftigen sich gerade mit ihrem jeweils dritten Fall ("Prey" lautet der Titel des dritten Bandes um Jefferson Winter). Zu diesem Anlass beschlossen beide Autoren, Gruber und Carol unabhängig voneinander, ihrem brillanten Protagonisten einen Erzfeind gegenüber zu stellen, der die volle Bandbreite ihrer Fähigkeiten ausreizt und sie persönlich tief involviert. Während Carols Ausarbeitung der Geschichte jedoch nicht an die Qualität der Idee heranreicht, überzeugt Andreas Gruber mit einer bis ins letzte Detail durchdachten Geschichte, die dem spannungshungrigen Thriller-Leser schauriges Vergnügen bereitet.

Sneijders Gegenüber verfügt über einen ähnlich scharfen Verstand wie dieser selbst, plant minutiös lange im voraus und ist mit ihm auf eine Weise verbunden, die einem der ältesten Erzähl-Topoi entspricht. Damit werden einerseits sämtliche Klischees des Genres bedient und die Erwartungen des Lesers erfüllt, andererseits mit geringem Aufwand dessen Nerven dauerhaft unter Strom gesetzt. Der Mörder folgt mit seiner Serie an Grausamkeiten einem klar vorgegebenen, originellen Schema. Konkret orientiert er sich an den Märchen des dänischen Erzählers Hans Christian Andersen, indem die Hinrichtungsmethoden und die Arrangements seiner Opfer auf jeweils eine bestimmte Geschichte verweisen. "Das hässliche Entlein", "Die Schneekönigin" oder "Die Prinzessin auf der Erbse" werden da beispielsweise auf gar nicht kindgerechte Art pervertiert. Damit wird der Täter auch dahingehend berechenbar, dass der Höhepunkt klar absehbar und der Showdown, die finale Konfrontation unvermeidlich ist.

Der Autor dürfte sich außerdem die zahlreichen positiven Reaktionen seiner Leser auf seine kontroversielle Hauptfigur zu Herzen genommen haben. Zwar kultiviert er zum Leidwesen seiner Mitmenschen genüsslich seine irritierenden Gewohnheiten, wie psychologisch annähernd geschulte Rezipienten allerdings längst vermuten, handelt es sich dabei um ausgeklügelte Mechanismen, um sich gegen emotionale Nähe abzuschotten. Sabine Nemez, seine junge Studentin aus den ersten beiden Teilen, wird ihm diesmal als gleichberechtigte Ermittlungspartnerin zur Seite gestellt. Ihrer neuen Position in der Rangordnung bewusst, wird diese Sneijder gegenüber zunehmend selbstbewusster: Stets mit Respekt, aber bestimmt stellt sie seine Entscheidungen infrage, widerspricht ihm offen und parodiert sogar seine Handlungsmuster. In weiterer Folge wird Sneijders unsichtbarer Panzer brüchig. Zunächst erlahmt sein Widerstand gegen Sabines Spitzen, dann betraut er sie mit Aufgaben, für die er üblicherweise jeden außer sich für inkompetent hielte, um ihr schließlich zutiefst persönliche Informationen anzuvertrauen, die zur Lösung des Falles essentiell sind. Gerade letzterer Aspekt spricht für die Raffinesse in der Konstruktion der Geschichte.

Wie für "Todesurteil" konnte auch diesmal Achim Buch als Sprecher für die Hörbuchfassung gewonnen werden. Dessen dezente, zurückhaltende - keineswegs jedoch leidenschaftslose - Art läßt die Geschichte in den Vordergrund treten. Einzig beim holländischen Akzent läßt er allerdings so etwas wie persönliche Begeisterung erkennen, immerhin gelingt es ihm, insgesamt drei verschiedene niederländischstämmige Figuren allein aufgrund ihrer Artikulation unterscheidbar zu gestalten.

Persönliches Fazit

Andreas Gruber nutzt bekannte Thriller-Topoi, etwa die Erzfeind-Situation durch die persönliche Verbindung von Mörder und Ermittler, sowie ein Thema, an dem sich die Morde orientieren und stellt damit einmal mehr unter Beweis, dass er er zu den derzeit besten Erzählern des Spannungsgenres zählt. Für Freunde seiner Hauptfigur Maarten S. Sneijder hält er einen emotionalen Höhepunkt am Ende des Romans bereit.

© Rezension: 2016, Wolfgang Brandner


Todesmärchen | Andreas Gruber | der Hörverlag2016, Hörbuch MP3-CD (gekürzt), ISBN: 978-3-8445-2137-5


[wolfgang]

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