Rezension: Null K | Don DeLillo

Ein inspirierender Blick in die Zukunft




Ross Lockhart ist ein Milliardär in den Sechzigern mit einer viel jüngeren Frau, Artis Martineau, die schwer krank ist. Er ist Großinvestor eines geheimen, im Verborgenen agierenden Unternehmens, das den Tod ausschalten will. Das Businessmodell: Menschliche Körper werden so lange konserviert, bis Medizin und Technik so weit sind, dass der Mensch ein Leben ohne Krankheiten und zeitliche Begrenzungen führen kann. Als Artis plant, ihren Körper aufzugeben, reist Ross' Sohn Jeffrey an, um Abschied von seiner Stiefmutter zu nehmen, auf unbestimmte Zeit. [© Text und Cover: Verlag Kiepenheuer & Witsch]

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Wir begleiten Jeffrey, den Ich-Erzähler, bei seinem Besuch der geheimen Forschungsanstalt, die sich irgendwo im Nirgendwo weit abseits der Zivilisation in Zentralasien befindet. Sein Vater hat die besten Wissenschaftler verschiedenster Richtungen zusammengebracht, um sein kühnes Vorhaben zu verwirklichen: seine Frau so lange einzugefrieren, bis nichts geringeres als das ewige Leben möglich ist. 

Theoretisch gibt es bei Null Grad Kelvin keine Teilchenbewegung mehr. Ob es damit physisch tatsächlich möglich ist, den menschlichen Körper zu erhalten, kann ich nicht beurteilen. Die Idee, die besten Forscher der Welt konzentriert zusammenarbeiten zu lassen, klingt aber interessant. Könnten die großen Probleme der Erde damit nicht effizienter angegangen werden? Oder könnte man tatsächlich, wie es Ross mit seinen Investoren versucht, alle Probleme, auch einen wahrscheinlichen Untergang der Menschheit, im „Schlafmodus" überstehen?

Bald schon eröffnet er Jeffrey, dass er nicht vorhat, sein Leben ohne Artis weiterzuführen und sich ebenfalls konservieren zu lassen. Der ist mit dieser Situation zunächst überfordert, und mir geht es dabei ganz ähnlich. DeLillo stößt hier eine große Tür auf und lässt eine Menge Fragen herein: Ist es moralisch vertretbar, dass der Mensch gottgleich in dieser Weise über das Leben bestimmt? Ist es denn überhaupt erstrebenswert, ewig zu existieren? Macht das Leben ohne den Tod überhaupt Sinn?

„Ist der Tod nicht ein Segen? Bestimmt er nicht von Minute zu Minute, von Jahr zu Jahr den Wert unseres Lebens?" (S. 71)

Es gibt viele Stellen in diesem Buch, an denen ich verweile und mir erst mal Gedanken zum Text machen oder ihn nochmal lesen muss. Das liegt nicht zuletzt auch an DeLillos Sprachstil. Er macht es uns nicht leicht, seine Wortwahl ist einerseits komplex, aber auch sehr präzise. Er wirft mit Jeffreys Gedanken geradezu um sich.

„Denkst Du an die Zukunft? Wie wird die Rückkehr sein? Derselbe Körper, ja, oder ein verbesserter Körper, aber was ist mit dem Geist? Ist das Bewusstsein unverändert? Bist du derselbe Mensch?" (S. 50)

Die Antworten auf all diese Fragen bekommen wir natürlich nicht im Buch. Damit muss sich jeder Leser selbst auseinandersetzen, und so werden auch die Antworten sehr individuell ausfallen. 


Persönliches Fazit

Ist es erstrebenswert, ewig zu leben? Don DeLillo konfrontiert uns bei „Null K" mit vielen tiefsinnigen Fragen dieser Art. Sein Roman ist ein literarisches Konzentrat, sprachlich genauso fordernd wie inspirierend.

© Rezension: 2016, Marcus Kufner 

Null K | Don DeLillo | Verlag Kiepenheuer & Witsch
Aus dem amerikanischen Englisch von Frank Heibert
2016, gebunden, 288 Seiten, ISBN: 9783462049459

[marcus]

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