DES TAUCHERS LEERE KLEIDER | VENDELA VIDA


Eine Amerikanerin reist überstürzt nach Casablanca. Der Grund für ihre Reise ist unklar. Kaum in ihrem Hotel angekommen, wird sie ausgeraubt. Die Polizei und die Hoteldirektion versuchen scheinbar, den Dieb zu fassen, haben sich aber eigentlich gegen die Amerikanerin verschworen. Auf der Polizeiwache wird ihr der Rucksack einer fremden Frau ausgehändigt, deren Identität sie annimmt. Vorübergehend, wie sie denkt, bis sich alles aufgeklärt hat. Doch einmal von der Last des eigenen Ich befreit, beginnt sie, Freude daran zu empfinden, sich von der Frau, die sie einmal war, immer mehr zu entfremden. Bis sie eine berühmte Hollywood-Schauspielerin kennen lernt und einen Schritt zu weit geht. [© Text und Bild: Aufbau Verlag]
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[mk] In was ist sie da nur hineingeraten? Eigentlich wollte sie nach Marokko reisen, um Abstand von zu Hause zu gewinnen, aber kaum dort angekommen rutscht unsere Protagonistin von einem Vorfall zum nächsten. Wieso drängt der Polizeichef, nachdem sie den Diebstahl ihrer Papiere, Karten und ihres Laptops angezeigt hat, eine fremde Identität auf?
Die Kreditkarten der anderen Frau funktionieren noch, aber was ist, wenn sie als Diebin entlarvt wird? Die Wahrheit wird ihr keiner glauben. Sie geht zur amerikanischen Botschaft, das ganze muss doch zu klären sein. Als ihr aber auch dort misstraut wird, gibt sie auch dort einen falschen Namen an und verschwindet wieder.

Es ist nicht einfach für sie, die falsche Identität aufrecht zu erhalten. Stets sieht sie die Gefahr, aufzufliegen. Im Hotel bewegt sie sich mit gesengtem Kopf, damit sie nicht als die Betrügerin erkannt wird. Als sie dort von Filmleuten angesprochen wird, die ein Double für eine Schauspielerin suchen, ist das für sie eine Gelegenheit, an Geld zu kommen. Sie lässt sich darauf ein, gibt aber erneut einen falschen Namen an. Ist es eine Chance, sich neu zu erfinden, neu anzufangen, oder wird ihr das irgendwann um die Ohren fliegen? 

Das Auffälligste an „Des Tauchers leere Kleider" ist die Erzählform. Normalerweise wird eine Geschichte in der dritten Person erzählt. Hier werde ich als Leser direkt in die Rolle der Hauptdarstellerin eingebunden, da das komplette Buch aus der Du-Perspektive erzählt wird:


„Du tastest an deinen Rücken. Du drehst dich um, als könntest du über deine Schulter hinweg ein Stück von deinem Rucksack sehen. Du sagst zu dem Mann an der Rezeption, dein Rucksack sei nicht mehr da." (S. 17)


Für mich funktioniert das sehr gut, ich bin viel näher dran am Geschehen. Mit wenigen Ausnahmen: beim Schminken beispielsweise kann ich mich als Mann nicht wirklich in sie hineinversetzen. Ich würde empfehlen das Buch anzulesen, dieser Stil gefällt bestimmt nicht jedem.

Das tragende Element des Romans ist das, was vor der Reise geschehen ist, der Grund dafür, dass sie Abstand braucht. Immer wieder wird hierzu etwas eingestreut oder angedeutet, wie ein Puzzle baut sich das Bild mit der Zeit auf. Das ist dramaturgisch sehr gut gemacht und hat mich auch inhaltlich überzeugt.

PERSÖNLICHES FAZIT


Eine Frau bricht aus dem Alltag aus: ich war verblüfft, als mir die Tragweite ihrer perfiden Vorgeschichte klar wurde. Die ist sehr gut eingebunden in die Ereignisse, die ihr in Casablanca widerfahren. Der Schreibstil trifft sicher nicht jeden Geschmack, ich fand die Du-Perspektive aber durchaus passend und hat mich nah an die Hauptakteurin gebracht.

© Rezension: 2016, Marcus Kufner


Des Tauchers leere Kleider | Vendela Vida | Aufbau Verlag*

Aus dem Amerikanischen von Monika Baark

12. Februar 2016, gebunden, 252 Seiten, ISBN: 9783351036294

[marcus]

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