Der 37-jährige Däne Gabriel Lassen, ein enger Vertrauter des russischen Patriarchen Tichon II., wird in einem Moskauer Hinterhof zu Tode geprügelt. Sein Zwillingsbruder Adam ist fassungslos: Ist es Zufall, dass der Patriarch nur wenige Stunden zuvor ebenfalls starb, angeblich friedlich in seinem Bett? Umgehend bricht Adam in Begleitung seiner Mutter Anastasia, einer gebürtigen Russin, nach Moskau auf. Bei der Suche nach den Umständen von Gabriels Tod stößt er auf eine unheilige Allianz von Kirche, Politik und Wirtschaft. Und auf die faszinierende Geschichte seiner eigenen Familie. [© Text und Bild: dtv Verlagsgesellschaft]
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Die Beschreibung des Buchs klingt nach einem spannenden Politthriller. Wer jetzt einen Plot mit Action, vielen Wendungen und verschlungenen Intrigen erwartet, wird enttäuscht sein. Erst gegen Ende kommt Tempo in die Geschichte. Deswegen ist es aber kein schlechtes Buch, Leif Davidsen legt den Schwerpunkt nur nicht auf den genreüblichen Thrill, sondern auf die Protagonisten und die politischen und gesellschaftlichen Umstände. Im ersten Drittels des Buchs begleiten wir Adam, den Zwillingsbruder des ermordeten Gabriel. Er ist ein bekannter TV-Star in Dänemark und gerade zu Filmaufnahmen in Grönland unterwegs, als er vom Tod seines Bruders erfährt. Hier fällt mir eine Stärke des Buchs auf: die Beschreibungen der Landschaft, der Charaktere und der Stimmung sind sehr gut. Fast komme ich mir vor, als wenn ich mit auf dem Hundeschlitten stehen würde. Vereinzelt sind mir diese Ausführungen zwar zu langatmig, aber wie gesagt liegt der Schwerpunkt des Romans nicht auf Tempo.
Im zweiten Drittel reisen wir in der Zeit zurück in die Siebziger und erfahren, wie sich die Eltern der Zwillingsbrüder kennen gelernt haben. Hier wird es politisch: der Vater ist ein dänischer Geschäftsmann und damit ein Vertreter eines kapitalistischen NATO-Landes. Die Mutter lebt von Geburt an in Moskau und ist mit der sowjetisch-sozialistischen Ideologie aufgewachsen. Sie verlieben sich sofort ineinander, was nicht ungefährlich ist, denn das Misstrauen gegenüber Ausländern ist groß. Hier ist das Buch ein zweischneidiges Schwert: einerseits sind die Beschreibungen der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse ausgezeichnet recherchiert, so dass ich mir gut ein Bild der damaligen Zeit machen kann. Andererseits frage ich mich, was dieser Ausflug in die Vergangenheit mit der eigentlichen Story zu tun hat. Der Autor nutzt in seinem Buch offensichtlich den Plot als Aufhänger, um mir als Leser Russland näher zu bringen, die Sowjetzeit mit ihren dunklen Seiten, aber auch das Russland von heute, das er kritisch reflektiert.
Im letzten Teil kommen wir wieder zurück zu Adam, der gegen den Sumpf von Korruption und Intrigen den Mord an seinem Bruder aufklären will. Eins ist klar: ein Raubmord, wie es im Polizeibericht steht, war es sicher nicht.
Persönliches Fazit
Die Stärke des Buchs sind die sehr präzisen Beschreibungen der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse Russlands heute und in der Sowjetzeit. Da wirkt der Plot wie ein Aufhänger auch für Kritik an der derzeitigen Politik. Dieser Schwerpunkt ist durchaus interessant, für einen Thriller hat mir das Buch aber zu wenig Tempo und Spannung.
© Rezension: 2016, Marcus Kufner
Der Tod des Patriarchen | Leif Davidsen | dtv Verlagsgesellschaft
Aus dem Dänischen von Anne-Bitt Gerecke
21. August 2015, Taschenbuch, 464 Seiten, ISBN: 9783423260633
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