»Bitte, verklagt mich doch! ... «
New York, 1913. Die kleine Malka lebt mitten im Trubel der dicht gedrängten Straßen und übervölkerten Mietskasernen im Einwandererviertel auf der Lower East Side. Die meisten hier sind arm, haben zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel, leben von der Hand in den Mund. Doch listig und raffiniert, wie sie ist, lernt Malka schnell, sich im Viertel durchzuschlagen. Und genau da, mitten im abenteuerlichen Gemenge, wo die jiddischen und italienischen Rufe der fahrenden Händler durch die Straßen schallen, wendet sich Malkas Schicksal. Denn dort trifft sie Papa Dinello, der sie in das köstlichste Geheimnis der Welt einweiht: das Wunder der Eiscreme, die Verführung der süßen Magie. Für Malka beginnt eine wahre Tour de Force durch das Leben – und aus dem pfiffigen und erfinderischen Mädchen wird die Grand Dame Lillian Dunkle, die »Eiskönigin von Amerika« und berühmt-berüchtigte Herrscherin über ein Eiscreme-Imperium …
[Text & Cover: © Insel Verlag]
»Alles begann auf Manhattans drückender Lower East Side, mit dem Händler und seinem Pferdefuhrwerk. Ein rundlicher, schwitzender Mann: Salvatore Dinello. Und auf den Seiten seines Wagens prangte verheißungsvoll in abblätternden roten und goldenen Lettern: ›Dinello's Ices‹.« ~ Seite 13
Gilman zeichnet mit diesem Roman ein wahrlich sehr bildhaftes Amerikas des 20. Jahrhunderts von den 30ger bis hinein die 80ger Jahre.
Die Protagonistin Malka ist in ihrer Darstellung bzw Charakterisierung eine wunderbar ausgearbeitete Antiheldin. Nicht perfekt in ihrem Auftreten, mit Ecken und Kanten versehen aber mit dem richtigen Gespür gesegnet, die Gunst der Stunde in fast allen Lebenslagen zu nutzen.
Ihre zynische und auch frech-forsche Art gibt der Geschichte den gewissen Pepp, da sie selbst ihre Lebensgeschichte rückblickend erzählt. Bisweilen hat man wirklich das Gefühl, kein Buch zu lesen sondern mit ihr zusammen in ihrem Wohnzimmer zu sitzen. Dies liegt unter anderem auch daran, dass sie mich als Leser oft direkt anspricht. Und in ihrem Lebensrückblick nimmt sie wahrlich auch kein Blatt vor den Mund. Wenn man bedenkt, welch harten Lebensweg sie bestritten hat, ist ihr Auftreten nachvollziehbar und auch sehr authentisch. Seit frühester Kindheit auf sich selbst gestellt musste sie Entscheidungen selbstständig fällen und mit dem harten Leben an der Lower East Side selbst klarkommen. Und diese Entscheidungen mussten gründlich überdacht sein denn sie sorgten mehr als einmal für das nackte Überleben. So entwickelte sich Malka zu einer unerschrockenen, forschen Frau, die gelernt hat, was Hunger, Not, Verlust und Schmerz bedeutet, sich diesem Elend aber nie gebeugt hat. Sie lebte ihr Leben quasi nach dem Motto "was nicht tötet, härtet ab" und war bisweilen auch alles andere als zimperlich im Umgang mit ihren Mitmenschen.
Das Schicksal brachte Malka und Salvatore Dinello zusammen und während sie in der italienischen Eismanns-Familie aufwuchs, lernte sie alles über die Herstellung der besten Eiscreme an der Lower East Side. Und sie lernte früh, Augen aufzuhalten und aus jeder Situation das beste für sich selbst herauszuholen. Das zahlte sich im Laufe der Zeit aus und Malka bestieg den Trohn der Eiskönigin von Amerika. Ein steiniger Weg war das bis zu diesem eisgekrönten Erfolg und Malka nimmt uns in diesem Buch mit auf ihre Lebensreise, angefangen von ihrer Ankunft als Flüchtling im Hafen von Amerika 1913 bist hin zum aktuellen Zeitpunkt des Geschehens.
Tragik und Komik liegen oft sehr nahe beieinander und immer wieder glaubt man, jetzt schafft sie es nicht mehr, jetzt verliert sie alles - und dann kann sie doch wieder das Ruder im letzten Moment herumreißen. So erfindet sie zum Beispiel quasi aus einer dramatischen Notsituation heraus das Softeis und hat damit mehr Erfolg denn je. sie versteht es geschickt, ihrer Konkurrenz immer eine Armlänge voraus zu sein.
Selbst die Prohibition kam ihr zugute, denn dadurch boomte der Besuch von Eisdielen und Malka wusste auch hier die Gunst der Stunde zu nutzen.
Die Autorin bindet immer wieder jiddisches Vokabular ein, dass dem Ganzen noch mehr Authentizität verleiht, denn zu diesem Zeitpunkt war dieser Dialekt an jeder Ecke der Lower East Side zu hören. Aber dennoch ist alles sehr verständlich zu lesen. Einiges ergibt sich direkt aus dem Sinn und wenn man sich unsicher ist, liegt dem Buch ein Lesezeichen bei, auf dem das kleine jiddische Vokabular der Lower East Side notiert ist.
Persönliches Fazit
Kaum zu glauben dass dieser Roman tatsächlich ein Debüt der Autorin ist. Ich bin begeistert und habe mich von dieser gut recherchierten und rundum stimmigen Geschichte vollkommen fesseln lassen. Authentische Charaktere und eine unglaublich schillernde Protagonistin die mich mehr als einmal zum Lachen brachte, sorgen für einem wahren Lesegenuss. Tragisch und nachdenklich stimmend die Thematik, aber mit hervorragend eingearbeitetem Witz und Zynismus. Von mir eine ganz klare Leseempfehlung.
© Rezension: 2015, Alexandra Zylenas
Aus dem Amerikanischen von Eike Schönfeld
2015|, 600 Seiten, ISBN13: 978-3-458-17625-1
[alexandra]Labels: Beitrag von Alexandra, Rezension, Roman