Rezension || Der Todeszauberer | Vincent Kliesch


Sie suchten den Mann fürs Leben – und fanden einen Mann zum Sterben …

Eine verstümmelte Frauenleiche wird ans Havelufer geschwemmt, und Hauptkommissar Julius Kern steht vor einer neuen Herausforderung: Siebzehn Frauen hat der so genannte Schläfenmörder bereits getötet, und die Opfer haben nur eines gemeinsam - eine Schlagwunde an der rechten Schläfe. Inmitten der schwierigen Ermittlungen erhält Kern einen anonymen Brief von einem alten Bekannten: Tassilo Michaelis, freigesprochener Massenmörder und Kerns Erzfeind, scheint Informationen zu besitzen, die Kern auf die Fährte des Schläfenmörders führen könnten. Doch er verlangt dafür einen hohen Preis ... (© Cover und Text: Blanvalet Verlag)

Ob sich Vincent Kliesch mit seinem Erstlingswerk "Die Reinheit des Todes" einen guten Dienst erwiesen hat? Schwer zu sagen, immerhin gilt es quasi als Naturgesetz, daß sich der zweite Band eines jungen Autors dem Vergleich mit seinem Vorgänger stellen muß. Kurz gesagt: Diesen Vergleich besteht "Der Todeszauberer" souverän. Wie bereits gewohnt, erzählt der Autor in auktorialer Perspektive aus der Sicht dreier zentraler Figuren, nämlich des leitenden Ermittlers Julius Kern, seines Nemesis Tassilo Michaelis und des Mörders. Dabei überbrücken immer wieder eingeflochtene kursiv gesetzte Gedanken Kerns die Distanz des Leser zu ihm, lassen ihn enger mit der Figur verwachsen. Als Tempus dient das gewohnte Präteritum, einzig im Prolog, in dem man den Mörder am Werk erlebt, unterstreicht das Präsens die Brisanz der Situation. Kurze, schnörkellose Sätze prägen die Sprache und sorgen für hohes Erzähltempo. Zu dessen Dosierung variiert der Autor zudem souverän die Längen seiner Kapitel: Während der Leser zu Beginn noch länger an einzelnen Schauplätzen verweilen darf, wird das Finale mit beinahe filmischen Szenenwechseln präsentiert.

Wie bereits im ersten Fall des brillanten Ermittlers, in dem ein Kellner mit unfreundlichen Gästen hadert, beweist der Autor auch nun ein Gespür für in der Kriminalliteratur noch wenig besuchte Topoi. Der Vorhang lüftet sich, von irgendwoher klingt blecherne Musik aus der Konserve, mit salbungsvollen Worten wird der Leser im "Mes Amis" einem heruntergekommenen Varienté am Berliner Kurfüstendamm begrüßt. Jedoch ist die Fröhlichkeit aufgesetzt, bis auf einen jungen Artisten hat das Ensemble seine besten Jahre hinter sich, nur mehr mit Mühe kann die bröckelnde Fassade von der Illusion des Zauberhaften überdeckt werden. Hier finden sich exzentrische Persönlichkeiten, die am Rande der Gesellschaft lebend, aufeinander angewiesen sind, hier wird die wildromantische Bohemik des fahrenden Volkes beschworen. Und zugleich stimmt Vincent Kliesch einen Abgesang auf eine aus der Mode kommende Kunst- und Lebensform an, läßt sein Publikum die Luft der Mange schnuppern, wo das Lachen und Staunen sich vermählen.

Auf dieser Bühne nun beeindruckt der Zauberer Rufus mit harmlosen Illusionen, während er sie abseits des Rampenlichts zu tödlicher Wirklichkeit werden läßt. Getrieben von seinen eigenen Dämonen, verkörpert er zwar keinen originellen, nie gesehenen Typ des Serienmörders, dient jedoch als Vorwand für eine weitere Runde im packenden Psychoduell zwischen Tassilo Michaelis und Julius Kern. Der brillante Ermittler und sein Gegenspieler, der ihm stets um Haaresbreite entwischt, der eine, der ohne den anderen nicht sein kann, die beiden Pole, die auf einander angewiesen sind, im jeweils anderen ihren Daseinszweck finden. Die Zuspitzung dieser Konstellation erinnert an große Gegensatzpaare wie Sherlock Holmes und Dr. Moriarty und taucht den Roman in eine beihahe sympathische comichafte Stimmung. Dazu paßt auch das griffige Etikett "Schläfenmörder" als Pendant zum "Putzteufel" im Vorgängerband, mit dem der Mörder von seinen Jägern versehen wird. Als ein kleiner Wermutstropfen müssen jedoch logische Unstimmigkeiten in Kauf genommen werden, um dem im Vordergrund mordenden Illusionisten den Nimbus seiner Unantastbarkeit zu erhalten.

Nicht nur dem Varienté errichtet der Autor mit diesem Roman ein kleines Denkmal, auch die Verbundenheit mit seiner Heimatstadt Berlin bringt er immer wieder als ein persönliches Bedürfnis zum Ausdruck. Er spaziert mit dem Leser über den Kurfürstendamm, unternimmt mit ihm einen Abstecher in den Zoo und setzt ihn dem ruppig-herben Charme einer typischen Imbißbude aus. Genüßlich spielt er eben dort auch mit den Gegensätzen von preußischer Pünklichkeit und bayerischer Gemütsruhe, von Currywurst und Leberkäsesemmel.


"Vergiß den tristen Alltag, und sei es auch nur für einen Augenblick." Die Begrüßung im Varieté gilt für den gesamten Roman: Vincent Kliesch lädt zur Mörderjagd in einer Parallelwelt der Illusionen, erzählt in einem comicartigen Stil.

© Rezension, 2015 Wolfgang Brandner


Vincent Kliesch - Der Todeszauberer - Blanvalet Verlag

Taschenbuch, Klappenbroschur,
ISBN: 978-3-442-37493-9
Erscheinungsdatum: 18. April 2011 
Kaufen: Print / eBook

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