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© Fotografie: Alexandra Zylenas |
Am Freitag, den 7. November durfte ich einmal mehr an einer der tollen Lesungen aus dem Hause Osiander in Heilbronn teilnehmen. Ich freute mich besonders, dass Giulia Enders aus ihrem Buch "Darm mit Charme. Alles über ein unterschätztes Organ" lesen wird. Eigentlich sollte auch diese Lesung in der Buchhandlung Osiander stattfinden, aber aufgrund der wahrlich großen Nachfrage wurde kurzerhand umdisponiert und die Lesung wurde in die Harmonie Heilbronn verlegt. Ich hatte schon einiges über die Autorin gehört und gelesen und auch den Science Slam bei Youtube geschaut. Es gab mittlerweile ja schon viele Interviews und ich habe auch den sehr charmanten Fernsehbeitrag bei Lanz gesehen. Da mich das Thema selbst sehr interessiert, was es klar, dass ich unbedingt zu dieser Lesung musste. Gesagt - getan. Und es wurde (mal wieder) ein toller Abend.
"Darm mit Charme" - Giulia Enders
Ein Blick in den Klappentext: Ausgerechnet der Darm! Das schwarze Schaf unter den Organen, das einem
doch bisher eher unangenehm war. Aber dieses Image wird sich ändern.
Denn Übergewicht, Depressionen und Allergien hängen mit einem gestörten
Gleichgewicht der Darmflora zusammen. Das heißt umgekehrt: Wenn wir uns
in unserem Körper wohl fühlen, länger leben und glücklicher werden
wollen, müssen wir unseren Darm pflegen. Das legen die neuesten
Forschungen nahe. In diesem Buch erklärt die junge Wissenschaftlerin
Giulia Enders vergnüglich, welch ein hochkomplexes und wunderbares Organ
der Darm ist. Er ist der Schlüssel zu Körper und Geist und eröffnet uns
einen ganz neuen Blick durch die Hintertür.
(© Text + Bild: Ullstein Verlag)
Ausgerechnet ein Buch, welches sich ausführlichst unserem Darm widmet, führt nun schon seit Monaten die Sachbuch-Bestsellerliste an und es wurde aktuell sogar schon die 25. Auflage produziert. Das ist erstaunlich und auch faszinierend. Woran liegt das?
Die einen sagen sicher: "Alles nur gutes Marketing", aber die anderen beschäftigen sich ausführlicher mit dem Thema und freuen sich, dass Frau Enders offen ist und einfach mal darüber schreibt und erzählt, worüber sich andere lieber ausschweigen und es im Stillen (Örtchen) mit sich selbst ausmachen. Man muss auch bedenken, dass es sich hier nicht um eine Art Roman handelt - nein, dies ist ein ausführlich recherchiertes Sachbuch. Frau Enders studiert Medizin und der Darm mit seinen Aufgaben bzw Funktionen ist ihr Lieblingsgebiet, ihr großer Schwarm sozusagen. Sie hat im Laufe der Zeit das Organ kennen- und schätzen gelernt und genau das möchte sie auch uns Lesern vermitteln. Dass da etwas in uns ist, dass uns hilft, uns unterstützt und so viel Gutes für uns tut!
Ich war am Abend der Lesung dennoch erstaunt, wie schnell sich der Saal füllte und dass bald nahezu alle Plätze besetzt waren. Sehr schön! Selbst die GDL konnte den Beginn eines tollen Vortrages nicht verhindern, maximal etwas verzögern. Giulia Enders konnte aufgrund des Streiks nicht wie geplant mit dem Zug anreisen aber Herr Weller von der Buchhandlung Osiander setzte sich kurzerhand hinter das Steuer und brachte Frau Enders durch den dicken Freitag-Nachmittags-Verkehr pünktlich und stressfrei nach Heilbronn.
Die Lesung konnte beginnen und Frau Enders trat ihrem großen Publikum auf äußerst charmante Art und Weise gegenüber. Sie präsentierte während der Lesung aus Ihrem Buch die liebevoll gestalteten Grafiken auf der Leinwand, die von ihrer Schwester Jill Enders kreiert wurden und die das Thema sehr humorvoll visuell unterstreichen. Dies lockerte direkt die Stimmung und man merkte, dass das Publikum sich köstlich amüsierte. Es bereitet übrigens große Freude, Giulia Enders zu lauschen, denn sie versteht es hervorragend, ihre Leser mitzunehmen, zu begeistern und medizinisches Wissen verständlich zu erklären.
So merkte man gar nicht, wie schnell die Zeit doch verging und nach etwa einer Stunde waren wir alle etwas Schlauer und wussten nun endich, wie "kacken" eigentlich wirklich richtig geht. Wir erfuhren, was da in uns passiert, von dem wir so rein gar nichts mitbekommen. Dass wir auch einen inneren Schließmuskel haben, der so völlig unbeeindruckt ist von unserer Umwelt und sich voll und ganz auf sein Ding konzentriert und dass sich da Billionen von Bakterien in uns tummeln, die (meist) einen ganz tollen Job für uns machen. Wir wurden sensibilisiert, mehr auf uns zu achten und ein wenig auf unser Inneres zu hören, es etwas besser zu verstehen. Oder wusstet ihr, dass Magenknurren nicht vom Hunger kommt, sondern dass unser Dünndarm da gerade penibel ordentlich Großputz hält? Frau Enders fordert uns nicht auf, nun plötzlich alle Scham fallen zu lassen, öffentlich frei heraus zu pupsen oder über das richtige kacken zu reden - nein, sie sorgt mit ihrem Buch und ihren Lesungen schlicht dafür, dass wir das Thema einfach etwas gelassener sehen und dass wir sensibler werden für unseren Darm, der doch so viel unseres Körpers einnimmt und der uns hilft. Helfen wir ihm auch ein bisschen indem wir bewusster darauf hören, was er von uns mag (und was nicht so gerne). Wenn der Darm sich wohl fühlt, dann tun wir das auch.
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© Fotografie: Alexandra Zylenas |
Direkt im Anschluss der Lesung durfte das Publikum noch Fragen stellen und davon gab es nun doch so Einige. Ich fand es toll, dass Frau Enders sich auch dafür noch so richtig Zeit genommen und alle Fragen sehr ausführlich beantwortet hat. Also ich kann sagen, ich fühlte mich an diesem Freitagabend sehr wohl und auch sehr gut unterhalten. Das Buch hatte ich direkt mitgenommen, um es nach der Lesung noch signieren zu lassen und auch mein Lebensgefährte war begeistert und kaufte vor Ort direkt noch das Hörbuch dazu.
Danke an Frau Enders und an das ganze Team der Buchhandlung Osiander für einen rundum gelungenen Abend!
Besonders freute es mich dann, dass Frau Enders sich zum Schluss trotz des anstrengenden und langen Tages noch die Zeit für ein kleines Interview mit mir genommen hat:
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© Fotografie: Alexandra Zylenas |
A.Z. Der Darm ist Ihr großer Schwarm, wie Sie selbst sagen. Warum
ausgerechnet der Darm? Was löste die Faszination für gerade dieses Organ
aus, über das andere lieber schweigen.
G.E. Ich glaube, es ist
wirklich dieser Überraschungseffekt. Man denkt, irgendwas macht komische
Pupsgeräusche und man muss halt irgendwann aufs Klo. Und wenn man dann
mal anfängt, medizinische Artikel über den Darm zu lesen, merkt man, das
ist eine ganz andere Sache, die da abläuft. Es ist faszinierend, sich
in das Thema einzulesen, denn da in unserem Darm wird so viel Gutes für
einen getan und es geht hier wirklich um das eigene Innenleben. Und
genau das war eigentlich so der Aspekt, den ich immer noch mit am
faszinierendsten finde. Dieses Innenleben - und was es alles für einen
tut und wie überraschend es eigentlich ist, vor allem wenn man am Anfang
eigentlich so niedrige Erwartungen hat.
A.Z. Wann haben Sie
beschlossen, dass Sie über den Darm ein Buch schreiben möchten? Was
möchten Sie ihren Lesern mit "Darm mit Charme" mit auf den Weg geben?
G.E.
Ich wurde von einer Literaturagentin gefragt, die damals den Science
Slam gesehen hat, ob ich mir das denn vorstellen kann. Zuerst dachte
ich: Sowas kann ich doch nicht. Ich bin 22 Jahre alt und kann noch keine
Bücher schreiben. Aber ich habe schon immer gerne geschrieben
und habe mir gedacht, so ein Angebot bekomme ich vielleicht auch nur
einmal. Dann probiere ich es einfach mal. Das war im Sommer 2012, als ich
dieses Angebot bekam.
Ich hatte so viele Dinge im Kopf und dachte
mir: "Warum weiß das denn keiner."
Zu was der Blinddarm gut ist und das
Bakterien an der Stimmung und am Gewicht "mitschrauben" können oder dass
man auf der linke Seite viel leichter Rülpsen kann. :-) Wenn man das
wüsste, wäre doch vieles leichter zu verstehen und es wäre hilfreich.
A.Z. Was genau ist ein Science Slam?
G.E.
Beim Science Slam treten junge Wissenschafter auf. Junge Forscher die
ein Lieblingsthema haben und dieses auf wissenschaftlicher Ebene
dem Publikum in einfachen und unterhaltsamen Worten erklären.
A.Z. Der
Erfolg des Buches ist grandios und kam vor allem sehr schnell.
Fernsehauftritte unter anderem bei Markus Lanz folgten. Haben sie damit
gerechnet, dass der Ihr Buch so populär werden könnte?
G.E. Es ist tatsächlich gerade die 25. Auflage gedruckt worden und das Buch kommt jetzt in 24 Sprachen auf den Markt.
Aber
um auf die Frage zu antworten: ich hatte daran während des Schreibens
ehrlich gar nicht gedacht sondern ich hatte Angst, dass ich irgendwie Mist
baue oder dass es nicht gut wird. Diese Angst hatte ich eigentlich
permanent. Das war dann auch mein einziger Gedanken: "dass ich das, was
sich mache, gut mache" und darüber hinaus habe ich ehrlich nicht gross weiter
gedacht.
A.Z. Und wie ist dann das Gefühl, das Buch das erste Mal im Laden liegen zu sehen?
G.E.
Das war schon sehr abgefahren, zumal es direkt neben einem Buch von
Roger Willemsen lag, den ich schon immer sehr bewundert habe. Da direkt
nebeneinander zu liegen, das war schon sehr eindrucksvoll.
Ich
könnte es erst gar nicht so richtig realisieren. Ich habe direkt ein
Foto gemacht und ich habe das Foto heute noch. Da sieht man so meine
dreckigen Turnschuhe und mein Buch und Roger Willemsens Buch. Hach, schön :-)
A.Z. Von wem haben Sie Unterstützung bekommen während des Schreibprozesses?
G.E.
Von meiner Schwester. Die Arbeit meiner Schwester war superwichtig. Wenn meine
Texte zu kompliziert geworden sind oder ich stecken geblieben bin, dann
hat sie sich mit mir hingesetzt und ist das alles noch mal mit mir
durchgegangen.
Gill ist Kommunikationsdesignerin und sie hat einen sehr guten Blick dafür, da sie auch
sehr visuell denkt. Ich denke immer verbal und der Text muss aber
auch immer visuell denkbar sein. Hier hat sie mir wirklich unglaublich
geholfen und ich bin ihr sehr dankbar dafür. Und natürlich ganz wichtig: Die Grafiken zum Buch hat auch meine Schwester gezeichnet.
A.Z. Habe Sie viele Reaktionen aus Fachkreisen bekommen? Was sagt die Ärztewelt zu ihrem Buch?
G.E.
Das beunruhigte mich schon. Ich habe wirklich nach dem besten Wissen
und Gewissen gearbeitet und habe mir dann gedacht, ich kann es jetzt nur
noch abgeben und abwarten. Ich habe alles getan, habe alles mindestens
dreimal nachgelesen und muss nun den Dingen harren, die da kommen. Aber
ich muss sagen, ich war sehr positiv überrascht, denn die Resonanz aus
der Fachwelt war sehr gut, ich habe gutes Feedback bekommen. Es haben
mir Ärzte geschrieben, die mir ein Kompliment gemacht haben oder auch
mal gesagt haben: " hier auf Seite 34, hätte man da nicht noch .." Auch
zwei Professoren an meiner Uni haben gefragt, ob ich nicht mal zehn
Minuten zu einer Vorlesung dazukommen und auch etwas erzählen möchte.
Ich
hätte ehrlich erwartet, dass es harscher ausfällt und bin
positiv überrascht, wiewohlwollend und freundlich ich aufgenommen worden bin.
A.Z. Welche Erkenntnis über den Darm hat Sie selbst am meisten überrascht und beeindruckt?
G.E.
Das waren diese drei Säulen. Der innere Schließmuskel und
seine Aufgaben ganz unabhängig von der Außenwelt, die faszinierende
Arbeit der Bakterien in unserem Darm, und dann natürlich dieses
Neuverständnis von Sauberkeit.
A.Z. Sie haben erwähnt, dass Sie
aufgrund der bei Ihnen aufgetretenen Hautkrankheit Neurodermitis begonnen haben,
medizinische Texte über den Magen und Darm zu lesen. Haben Sie es auch
geschafft, durch das neue Verständnis diese Krankheit komplett zu
heilen?
G.E. Ja, ich habe das geschafft. Ich hatte Neurodermitis auf
beiden Armen und Beinen und heute ist nur noch eine kleine Stelle am Arm
zu sehen. Das war schon sehr extrem - zu schlimmsten Zeiten hatte ich
über 300 Stellen an den Armen und Beinen, Rücken und Gesicht verteilt. Aber heute habe ich das sehr gut im Griff. Ich habe für mich
herausgefunden, dass ich Gluten und Milchprodukte weglassen sollte und
ich habe Probiotika genommen. Ich habe das Gefühl, dass es das war, was
geholfen hat. Ich kann es im Nachhinein nicht mehr genau sagen, weil ich
so vieles ausprobiert habe. Aber es war sehr guttuend, dies so
erfolgreich in den Griff bekommen zu haben.
A.Z. Nachdem Sie
sich so ausführlich mit dem Darm beschäftigt haben und viel über Wirkung
und Auswirkung herausgefunden haben. Was machen Sie heute ganz bewusst
anders?
G.E. Ich habe durch die intensive Beschäftigung mit dem Thema
mehr zu mir selbst gefunden. Ich habe herausgefunden, was mal alles
eigenständig verbessern kann, damit es einem gut geht. Ich ernähre mich
bewusst und weiß, was meinem Darm tut gut.
Und ich kann heute sogar öffentliche Toiletten benutzen, was ich früher nie kommet - sogar im Zug :-)
A.Z.
Wie geht es nun für Sie weiter? Sie haben nach einem Freiseminar ihre
Forschung wieder aufgenommen - welchen Weg möchten Sie einschlagen?
G.E.
Ich werde jetzt erst einmal mein Staatsexamen schreiben im Frühling. Ab
Dezember sind auch von Verlagsseite aus alle Schotten dicht, das heißt,
es werden keine Mails und Telefonate weiter geleitet, damit ich mich in
Ruhe vorbereiten kann.
Danach werde ich mir ein bisschen frei
nehmen um ins Ausland zu reisen, werde meine Doktorarbeit fertig
schreiben und dann kommt das PJ, das heißt, ein Jahr umsonst im
Krankenhaus arbeiten und dann bin ich bis Ende 2016 fertig. :-)
A.Z. Dürfen wir mit einem weiteren Buch rechnen?
G.E.
Ehrlich gesagt, das kann ich überhaupt nicht sagen. Bei diesem Buch
hatte ich das Gefühl, das muss raus und aufgeschrieben werden, hier
kribbelt es und da gibt es eine Menge zu sagen.
Vielleicht kommt
dieses Gefühl wieder bei einem Thema, dann kommt auch wieder etwas. Und
wenn nicht, dann bleibt es dabei. Das hängt tatsächlich vom Gefühl ab.
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© Fotografie: Alexandra Zylenas | | |
Giulia Enders hat ihr erstes Staatsexamen in Medizin bestanden und
forscht für ihre Doktorarbeit am Institut für Mikrobiologie in Frankfurt
am Main. Sie ist zweifache Stipendiatin der
Wilhelm-Undelse-Heraeus-Stiftung. 2012 gewann sie mit ihrem Vortrag
"Darm mit Charme" den 1. Preis des Science Slam in Freiburg, der zum
Youtube-Hit wurde
Der Science Slam, mit dem quasi alles begann:
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