Constance, attraktiv, ungebunden, einem Abenteuer nicht abgeneigt, wird überfallen und verschleppt – im Auftrag des französischen Geheimdienstes: Sie soll die Schlüsselrolle in einer riskanten Mission spielen. Ziel: die Destabilisierung Nordkoreas. Constance erweist sich als Idealbesetzung und läuft in Pjöngjang als Geliebte eines hochrangigen Funktionärs zur Hochform auf. Doch als ihre Entführer plötzlich versuchen, ihr zur Flucht zu verhelfen, läuft alles aus dem Ruder. Einige Verfolgungsjagden und Schießereien später weiß niemand mehr, wer hier welche Strippen zieht und warum. "Unsere Frau in Pjöngjang" ist in jeder Zeile beides: Agentenroman und dessen Unterwanderung – und vor allem ein grandioses Spiel. [© Text und Cover: Hanser Berlin]
[trennlinie]
Normalerweise hat man bei Spionagegeschichten doch das Gefühl, dass die Beteiligten ganz selbstsicher genau wissen, was sie tun. Bei den Strippenziehern und ihren Handlangern in diesem Roman ist das nicht immer der Fall. Eine Frau entführen, um sie zur Spionin zu machen? Das kann doch niemals funktionieren! Bei dieser Persiflage auf klassische Spionagethriller geht das sehr wohl. Da gibt es einige Entscheidungen, die nur über Umwege zum Erfolg führen. Jean Echenoz hat offensichtlich einen Mordsspaß daran, seine Figuren ihrem Schicksal zuzuführen. Es scheint so, dass keiner von denen wirklich den Durchblick hat, jeder versucht in seinem Sinne das Richtige zu tun. Ihre dabei enttarnten Schwächen machen die Protagonisten sehr sympathisch.
Die eigentliche Geschichte ist gar nicht das Wesentliche des Buchs, die wäre schnell erzählt. Es dauert auch fast zweihundert Seiten, bis man nach Nordkorea aufbricht. Die Vorbereitungen bis dahin sind aber sehr kurzweilig, so kurios wie sie sind. Vor allem begeistert mich aber Jean Echenoz' Schreibstil. Sein Humor ist unglaublich treffsicher. Ich folge wahnsinnig gern seinen Abschweifungen, bei denen er die Sprache wie einen Bumerang verwendet, um präzise wieder zum Thema zurückzufinden. Ich habe mich beim Lesen herrlich amüsiert.
„Hubert Coste ist größer als Lou Tausk, schlanker als er, strahlender, gebräunter, muskulöser, der Komparative ist kein Ende, und da ersparen wir Ihnen noch seine sauschöne, wirklich irre attraktive Frau und die verflucht wohlgeratenen Kinder." (S. 40)
Wie kann man mit Humor ausgerechnet über das als „Schurkenstaat" bezeichnete Nordkorea schreiben? Die absurde Diskrepanz zwischen der hungernden Bevölkerung und dem maßlosen Luxus der Parteibonzen bleibt nicht unerwähnt. Echenoz verändert seinen Ton dabei nicht. Egal ob eiskalter Mord oder ein Auftritt des Diktators, er schreibt, als ob es nur nebensächlich wäre. Dabei sind doch einige satirische Spitzen zu entdecken. Es scheint beispielsweise so, dass der die steilste Karriere im Staatsapparat macht, dessen Frisur der von Kim Jong-un am meisten ähnelt. Ich bin sicher, der würde die Lektüre des Romans, im Gegensatz zu mir, nicht mit einem Grinsen genießen.
Persönliches Fazit
Jean Echenoz' Humor hat mich komplett vereinnahmt. Nur selten hat mich der Umgang mit der Sprache so amüsiert wie in „Unsere Frau in Pjöngjang". Dass man die Kleinganoven und ihre Bemühungen nicht wirklich ernst nehmen kann, passt da genau ins Bild.
© Rezension: 2017, Marcus Kufner
Unsere Frau in Pjöngjang | Jean Echenoz | Hanser Berlin
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel
2017, gebunden, 288 Seiten, ISBN: 9783446256798
[marcus]
Labels: Beitrag von Marcus, Rezension, Roman