Vor dem Lesen auftauen.
Oslo, 1988. Der eiskalte Winter hat die Stadt fest im Griff, als der junge Kommissar Tommy Bergmann einen grausigen Fund macht: Im Wald liegt, halb unter Schnee begraben, die brutal verstümmelte Leiche einer jungen Frau. Sie ist die erste in einer langen Reihe von Morden. Die Spur führt Tommy Bergmann in den einsamen Norden Norwegens. Jahrzehnte später, Tommy Bergmann ist inzwischen dafür bekannt, selbst die schwierigsten Fälle zu lösen. Doch sein erster Mordfall bereitet ihm bis heute Alpträume. Auch wenn er den Mörder eigentlich sicher verwahrt hinter Gittern weiß. Ein neuer Leichenfund lässt seine schlimmsten Befürchtungen wahr werden: Wieder ist eine junge Frau gestorben, und alles sieht aus wie damals. Ein Nachahmer? Oder hat er den Falschen verhaftet und dafür gesorgt, dass ein bestialischer Mörder seit Jahren frei herumläuft?
[trennlinie]
Der Titel sagt es bereits: Es ist kalt. Die Welt des Romans von Gard Sveen ist ein düsterer, unwirtlicher Ort, an dem jede jede menschliche Geste, jedes seltene Lächeln wie ein einsames Lagerfeuer in einer eisigen Wüste wirkt, kaum in der Lage, jene zu wärmen, die sich darum kauern. Anhaltender Schneefall erzeugt eine bizarre, monochromatische Landschaft, deckt Worte, Geräusche, Gefühle zu.
"Tommy Bergmann dachte für einen Moment, dass es tief im Wald keine Farben gab und die Sonne nicht einmal im Sommer bis hierher vordringen würde (...)." (S. 11)
Dabei prägen nicht nur die niedrigen Umgebungstemperaturen eine unwirtliche Landschaft, besonders grausam ist die menschliche Kälte, die sich in grausamen Morden, wie jenen an der jungen Kristiane, sechzehn Jahre vor der eigentlichen Handlung des Romans, manifestiert. Doch wenn jede Tat, mit der Kommissar Bergmann konfrontiert wird, die Raumtemperatur senkt, gibt es keine Cold Cases. Gard Sveen schreibt seine Geschichte mit der Tinte tiefer Trostlosigkeit:
"Die Welt war so schlecht, so armselig und so wenig zu verstehen, dass ihre Existenz in sich schon ein Beweis dafür war, dass es keinen Gott gab." (S. 176)
Auch auf formaler Ebene gestattet es der Autor in seinem zweiten Roman seinen Lesern nicht, rasch mit seiner Geschichte warm zu werden. Eine Vielzahl norwegischer Namen gilt es vorerst im Gedächntnis zu halten, ehe sich die Hauptfiguren als solche zu erkennen geben. Einer internationalen Leserschaft sind Namen wie Halgeir Sorvaag oder Arne Furuberget gewiß weniger geläufig als dem Autor selbst. Die Perspektiven wechseln außerdem von Kapitel zu Kapitel, wobei jeweils erst nach einigen Sätzen erkennbar wird, aus wessen Sicht die aktuellen Ereignisse geschildert werden. Dadurch muß sich der Leser jedes Mal die gedankliche Orientierung neu erarbeiten, als müßte man auf einer ohnehin beschwerlichen Wanderung im winterlichen Halbdunkel an jeder Gabeldung denn Wegweiser von seiner weißen Last befreien. Gerade der Beginn des Romans gleicht damit eher dem Haltsuchen auf einer eisigen Felswand als einer rasanten Schlittenfahrt ins Tal.
Ähnliches gilt für den Aufbau der Spannung: Der Autor läßt sich Zeit, seine Bühne aufwendig auszugestalten, bevor diese bespielt werden kann. Der Leser lernt die schauderhaften Einzelheiten des Falles und die teils furchteinflößenden, teils gebrochenen Persönlichkeiten kennen, die daran beteiligt gruppiert sind. Sind jedoch erst die Ausgangssituationen definiert, die Beziehungen der handelnden Personen zueinander abgesteckt, entwickelt sich die Geschichte wie eine Kettenreaktion dem Finale entgegen. Das Buch scheint somit tiefgefroren beim Leser einzutreffen, taut langsam auf und versengt schließlich die Finger beim Blättern, wenn die erzeugten Konflikte sich entladen.
Als entscheidender Brandbeschleuniger dieser Kettenreaktion wirkt dabei Kommissar Tommy Bergmann. Er ist wegen häuslicher Gewalt in psychologischer Behandlung und somit alles andere als eine bequeme Identifikationsfigur. Er ist kein schlitzohriger Playboy, sondern schlicht jemand, der seine Aggressionen nicht unter Kontrolle hat. Er ist zielstrebig und effizient in seinen polizeilichen Ermittlungen, die Redewendung vom "Herz am rechten Fleck" kann jedoch auf ihn nicht angewendet werden.
Ihm gegenüber ist Anders Rask als Antagonist plaziert, ein ehemaliger Lehrer, der aufgrund der Morde in der Vergangenheit verurteilt wurde und seine Strafe in der Sicherheitsabteilung einer psychiatrischen Klinik verbüßt. Er ist ein hochintelligenter, narzißtischer Psychopath, der von einer Aura permanenter Bedrohung umgeben wird. Er liebt nichts mehr, als sein Gegenüber mit taxierendem Blick aus dem Gleichgewicht zu bringen, diesem das Gefühl zu vermitteln, jederzeit tödliche Gewalt anwenden zu können. In einer Art heimlichem Höhepunkt des Romans kommt es schließlich zur unvermeidlichen Konfrontation der beiden Persönlichkeiten, die an "Das Schweigen der Lämmer" erinnert. Bei dem waffenlos ausgetragenen Duell kämpft Rask in der sterilen Welt der Klinik auf vertrautem Boden, dominiert die Situation, ehe schließlich ...
Die dritte exponierte Persönlichkeit schließlich ist Elisabeth Thorstenson, Mutter des ersten Mordopfers aus 1998, Kristiane. In ihr manifestiert sich die zu eisigem Wahnsinn gefrorene Verzweiflung. Der Verlust des geliebten Menschen hat tiefe Wunden geschlagen, die keine Zeit mehr heilen kann. Ihrem Schicksal kann sich der Leser am allerwenigsten entziehen, wenn sie seitenlang alle Nuancen ihrer Depression durchlebt, wenn ihr Sehnen nach Seelenfrieden zu einem dauerhaften Schmerz wird. Nur ein Beispiel dazu:
"Elisabeth Thorstensen setzte sich inmitten des Zeitungschaos auf den Boden und begann mit den Fingern durch die Seiten zu wühlen, als glaubte sie, Kristiane darunter finden zu können." (S. 177)
Persönliches Fazit
"Teufelskälte" von Gard Sveen hält treu seinem Titel wenig Licht und wenig Wärme für den Leser bereit, Winterkleidung oder Wolldecke werden also zum Lesen empfohlen. Der spannungsgeladene Aufstieg zum Gipfel des Wahnsinns ist beschwerlich, doch oben angekommen, erwartet der Ausblick auf ein explosives Finale.
© Rezension: 2017, Wolfgang Brandner
Teufelskälte (Ein Fall für Tommy Bergmann 2) | Gard Sveen | Ullstein Buchverlage
Aus dem Norwegischen übersetzt von Günther Frauenlob.
2017, Hardcover Klappbroschur, 416 Seiten, ISBN: 9783471351499
[wolfgang]