Im riesigen Gebiet von Mandinorien gilt Drachenblut als das wertvollste Gut. Rote, grüne, blaue und schwarze Drachen werden gejagt, um an ihr Blut zu kommen. Das daraus gewonnene Elixier verleiht den wenigen Gesegneten übernatürliche Kräfte. Doch das letzte Zeitalter der Drachen neigt sich seinem Ende zu.
Kaum jemand kennt die Wahrheit: Die Drachen werden immer weniger und schwächer. Sollten sie aussterben, wäre ein Krieg Mandinoriens mit dem benachbarten Corvantinischen Kaiserreich unausweichlich. Alle Hoffnung des Drachenblut-Syndikats beruht auf einem Gerücht, nach dem es eine weitere Drachenart gibt, die weitaus mächtiger ist als alle anderen. Claydon Torcreek, ein Dieb und unregistrierter Blutgesegneter, wird von der obersten Herrschergilde in das wilde, unerforschte Inland geschickt, um einem Geschöpf nachzuspüren, das er selbst für reine Legende hält: dem weißen Drachen. [Text & Cover:
Klett Cotta Verlag /
Hobbit Presse]
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Dampfschiffe auf Entdeckerreise, Handelskartelle, Intrigen in höfischen Behörden ... die Welt, die Anthony Ryan in seinem neuen Roman entwirft, ist seltsam vertraut - und gleichzeitig irgendwie doch nicht. Was auf den ersten Blick wie ein Ausflug in das verklärte viktorianische Zeitalter anmutet, wirkt auf den zweiten leicht verschoben. Diese Welt wird nämlich nicht nur von Menschen, sondern auch von den faszinierendsten, furchteinflößendsten Kreaturen der Phantastik bevölkert: Drachen. Sie leben in der Wildnis, werden aber eingefangen und in Gefangenschaft gehalten. Von sogenannten Erntemeistern wird ihnen Blut abgezapft, das als das begehrteste Handelsgut gilt. Dieses wiederum kann von Blutgesegneten - durchschnittlich einem von tausend Menschen - genutzt werden, um Körperkraft und Konstitution zu steigern, Schiffsantriebe zu befeuern oder telepathisch über weite Strecken zu kommunizieren.
Zunächst wird dem Leser wohl das Fehlen einer Einleitung, einer behutsamen Annäherung an die zentrale Thematik, auffallen. Der Autor scheint sein Publikum geradezu in die Geschichte treiben zu wollen, verweigert ihm neugierige Blicke nach rechts und links. Vermutlich ein mutiger Sprung ins kalte Wasser, aber wohl bewußt gewählt, um nicht den Eindruck eines Reiseführers zu wecken, so ist dieser Ansatz wohl zu deuten. Nach und nach erweist sich jedoch die Liebe zum Detail als auffallendstes Merkmal des Romans:
"Der Dschungel stank. Es war nicht nur ein markanter Geruch, sondern ein schwerer, unentrinnbarer Gestank. Mit jedem Atemzug überfiel er Clays Nase, der süßliche Duft nach Verfall und überreifem Obst." (S. 155)
Jede Situation, jeder Platz wird für alle Sinne wahrnehmbar beschrieben, als wäre der Autor selbst vor Ort gewesen. Er zitiert die Anleitung eines Brettspiels, verweist nebenbei auf eine in einer kurzen Anekdote bereits umfangreich skizzierte Schriftstellerin aus dieser Welt und gibt Einblicke in die Anatomie seiner Drachen:
"... sein Schwanz, (...), hatte die irrtierende Eigenschaft zu zucken, obwohl seit dem Ableben der Bestie bereits mehrere Stunden vergangen waren. Außerdem funktionierte der Beißreflex eines Drachen noch geraume Zeit nach seinem Tod (...)" (S. 184)
Durch den sparsamen Umgang mit Metaphern und sprachlichen Stilmitteln gewinnt der Text außerdem dokumentarischen Charakter, sodaß streckenweise den Eindruck eines historischen Romans entsteht. Der Text ist dicht gepackt mit Eindrücken, die lebendige, authentische Bilder evozieren. Dazu paßt auch ein ausgeprägtes Gespür des Autors für Szenenwechsel. Er berichtet von einer Expedition in die Wildnis anhand markanter Stationen, springt von einem Handlungsort zum nächsten, ohne die langen Wege dazwischen abzumarschieren. Die Erzählung wird stark verdichtet, für Füllmaterial bleibt wenig Platz. Wie intensiv sich der Autor mit der von ihm gestalteten Welt auseinandergesetzt hat, beweisen auch zwei Landkarten, anhand derer sich die Wege der Protagonisten nachvollziehen lassen.
Drachen wecken seit jeher die Faszination der Liebhaber phantastischer Literatur. Wenn auf dem Cover eines Romans ein dunkelhäutiges Exemplar mit feurigem Atem prangt, das seine Ketten sprengt und sich über einen winzigen Menschen erhebt, werden damit Erwartungshaltungen geweckt, die der Roman nur bedingt erfüllen kann: Er nimmt seinen Ausgang in einer Zeit, in der Drachen von Menschen unterworfen sind und wie bessere Milchkühe ausgeblutet werden. Ihre Zahl in feier Wildbahn nimmt immer weiter ab, das Blut verliert immer mehr an Gehalt. Dieser gewonnene Lebenssaft wird von den Menschen jedoch nicht als Urkraft in verflüssigter Form umschrieben, sondern lediglich mit dem Begriff "Produkt" zu einer austauschbaren Handelsware sprachlich abstrahiert.
Unter dem Gesichtspunkt der Ökologie läßt sich der Geschichte auch noch eine kritische Lesart entlocken. Die Nutzung der Drachen erinnert an Massentierhaltung, ihr zunehmendes Aussterben an die Überfischung unserer Meere. Ein weiterer Aspekt, auf den der Autor implizit hinweist, ist der oft zu leichtfertige Umgang mit dem Blut der Kreaturen. Menschen, die etwa mit grünem Drachenblut zu oft die eigene Regeneration beschleunigen oder mit Schwarz ihre Gegner bezwingen, begeben sich in Gefahr, das Verhältnis zu den eigenen, nicht künstlich verbesserten Fähigkeiten aus den Augen zu verlieren und einer Sucht zu verfallen, deren Entzugserscheinungen beim Abklingen der Wirkung mit jenen harter Drogen vergleichbar sind. Der Roman ist aber auch als eine Parabel über Umbruch und Veränderung zu verstehen: Längst erhalten Drachen und die Wirkung ihres Blutes die Wirtschaft nicht mehr alleine am Leben, längst schon beansprucht der Fortschritt in Gestalt von Schiffsmaschinen, Dampflokomotiven und automatischen Waffen seinen Platz. Der Autor flicht somit geschickt den populären Konflikt zwischen Wissenschaft und Magie ein ... und dessen Ausgang ist längst nicht entschieden.
Wo Drachen das Geschehen bestimmen, darf es natürlich auch an Magie nicht fehlen. Mächtige Zauberer, die mit Bannflüchen die monströsen Kreaturen im Zaum halten oder die Elemente kontrollieren, sollte man jedoch nicht erwarten. Stattdessen wecken die vier Varianten des Drachenbluts (blau, rot, schwarz und grün) in einzelnen Personen übermenschliche Kräfte. Indem sich diese Blutgesegneten das Produkt in der jeweils benötigten Farbe einverleiben, erinnert diese Form der Magie eher an medikamentöse Leistungssteigerung als an spektakuläres übernatürliches Wirken. Für einen Fantasy-Roman sind die phantastischen Elemente also äußerst sparsam dosiert. Dieser Eindruck, der zuweilen Zweifel am gewählten Genre weckt, verflüchtigt sich erst im actiongeladenen Finale des Romans, in dem wilde Drachen aller Farben koordiniert eine Stadt belagern und sich gegen alles Menschliche wenden. Bis dahin jedoch verfolgt der Leser drei Hauptfiguren parallel in ihren jeweiligen Erzählsträngen bei einer Expedition in das wilde Hinterland des Kontinents, auf einer Spionagemission und bei verwegenen Kämpfen gegen Piraten auf hoher See. Für einen einzelnen Band wäre dieses Verhältnis aus einleitender und zentraler Handlung, zwischen Spannungsaufbau und spektakulärer Action, zwischen weltlichen Geschäften und magischen Duellen unausgewogen. Da "Das Erwachen des Feuers" jedoch den Auftakt einer Trilogie bildet, liegt hier nur ein Teil der gesamten Geschichte vor und wird dieses Verhältnis nach deren Abschluß neu zu bewerten sein.
Persönliches Fazit
Ein dichtgepackter Roman über kanonenbewehrte Kriegsschiffe, königliche Spione und waghalsige Forschungen, der seinen zentralen Kreaturen, den feuerspeienden Schuppentieren, (noch) zu wenig Platz einräumt. Dem Titel zufolge beenden diese jedoch erst ihren Schlaf, die Erwartung auf den Ritt auf dem Rücken des Drachen ist geweckt.
© Rezension: 2017, Wolfgang Brandner
Das Erwachen des Feuers | Anthony Rayn | Hobbit Presse Klett Cotta
Aus dem Englischen übersetzt von Birgit Maria Pfaffinger und Sara Riffel
2017, 1. Auflage gebunden, 832 Seiten, ISBN: 978-3-608-94974-2
[wolfgang]