Nach dem Bestseller „Der Junge im gestreiften Pyjama" begibt sich John Boyne mit „Der Junge auf dem Berg" wieder in die Zeit, als die Nationalsozialisten Deutschland und Europa mit ihrer Terrorherrschaft überzogen. So wie damals wählt er auch jetzt wieder die Perspektive eines Jungen, der in einem gewissen Fenster mit wichtigen Ereignissen in Berührung kommt.
Pierrot ist sieben Jahre alt und lebt in Paris, als seine Mutter stirbt. Sein deutscher Vater hat die Familie, schwer traumatisiert von seinen Erlebnissen als Soldat im Ersten Weltkrieg, schon vor einiger Zeit verlassen. Über Umwege gelingt es, seine Tante Beatrix ausfindig zu machen, die als Hauswirtschaftlerin in Hitlers Berghof angestellt ist. Und weil der Herr Hitler so ein gutes Herz hat, darf sie ihren Neffen zu sich holen. So wird aus dem französischen Kind Pierrot ein deutscher Peter.
Pierrot kennt das, was er vom Führer hört, schon von seinem Vater: Deutschland soll wieder groß werden. Die schmachvolle Niederlage des Großen Krieges soll ausgemerzt werden. Pierrot ist eher klein für sein Alter und wurde deswegen in der Schule gehänselt. Jetzt sieht er die Möglichkeit, diese Wehrlosigkeit abzulegen. Unter dem Einfluss von Hitlers Ausstrahlung erliegt er der Verlockung, Macht über andere ausüben zu können. Wie so viele wird auch er in dessen Bann gezogen.
„je lauter er schlug, desto lauter jubelten die Menschen und rissen die Arme in die Luft, alle gleichzeitig, als wären sie ein einziges Wesen, das von einem einzigen Kopf gesteuert wurde, und riefen: »Sieg Heil! Sieg Heil! Sieg Heil!« Pierrot saß in ihrer Mitte, und seine Stimme war genauso laut wie die aller anderen, seine Begeisterung genauso groß, sein Glaube genauso stark." (S. 226)
Dass ein Siebenjähriger nicht ganz versteht, was um ihn vorgeht, ist verständlich. Pierrot ist allerdings schon sechzehn, als Hitlers Herrschaft endet. Kann er sich da wirklich noch damit herausreden, dass er doch nur ein Kind war und nicht verstanden hat, was vorging? Nach alldem, was er bei den Treffen der Nazigrößen auf dem Obersalzberg mitbekommen hat? John Boyne stellt sehr differenziert die Frage der Schuld – stellvertretend für viele, die mitgemacht haben, ohne das Vorgehen in Frage zu stellen. Das Buch gibt damit eine Erklärung, wie es dazu kommen konnte, dass so viele diesem Treiben zugestimmt haben. Es ruft aber auch auf, solche populistischen Äußerungen zu hinterfragen und ist damit auch ein wichtiger Beitrag, sich mit aktuellen politischen Tendenzen auseinanderzusetzen.
Persönliches Fazit
Mit Pierrot können sicherlich hauptsächlich junge Leser mitempfinden. Aber nicht nur für die ist „Der Junge auf dem Berg" lesenswert und muss sich nicht hinter „Der Junge im gestreiften Pyjama" verstecken. Mich hat die Frage, wieviel Schuld Pierrot auf sich geladen hat, sehr beschäftigt. Das Buch ist ein gelungener Beitrag, um zumindest partiell zu erklären, wie es damals so weit kommen konnte und ist damit auch eine Mahnung, populistische Aussagen von heute zu hinterfragen.
© Rezension: 2017, Marcus Kufner
Der Junge auf dem Berg | John Boyne | Fischer Verlag
2017, gebunden, 304 Seiten, ISBN: 9783737340625
Aus dem Englischen von Ilse Layer
ab 12 Jahren
[marcus]