Rezension: Mein Wille geschehe | Jennifer Benkau

Stilistische Experimente als Stalking-Story


Derya steckt nach der Scheidung von ihrem grausamen Mann in einer Krise. Immer mehr zieht sie sich in ihre eigene Welt zurück und lässt kaum jemanden an sich heran - bis eines Tages ihre Jugendliebe Jakob wieder vor ihr steht. Auch nach all den Jahren hat er nichts von seinem damaligen Charme eingebüßt, und zum ersten Mal seit langer Zeit ist Derya endlich wieder glücklich. Aber zeitgleich mit Jakobs Auftauchen beschleicht sie immer öfter eine unbestimmte Angst. Sie hat das Gefühl, beobachtet zu werden, und bald ist sie sich sicher, dass jemand sie verfolgt. Ist ihr Ex-Mann hinter ihr her? Doch dann offenbart Jakob Derya ein furchtbares Geheimnis, das sie daran zweifeln lässt, ob sie ihn wirklich kennt ... [Text & Cover: © Bastei Lübbe]

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Ganz offensichtlich empfindet die Autorin Vergnügen am Spiel mit der Sprache. So ist der Haupterzählstrang immer wieder von Textpassagen unterbrochen, die keinen unmittelbaren Zusammenhang zu diesem aufweisen, sich jedoch als Fragmente fiktiver Romane entpuppen. Diese unterscheiden sich in ihrer Sprachführung merklich von der Erzählung um die Hauptfigur Derya: Wie Masken legt sich die Autorin verschiedene Persönlichkeiten an, die sich in den individuellen Stilen manifestieren. Der flapsige, regional gefärbte Plauderton der zentralen Handlung legt als roter Faden jedoch den Schluss nahe, dass hier das wahre Gesicht der Autorin zu erkennen ist.

Viele Ereignisse werden nur angedeutet, bestenfalls kurz gestreift, sodass die Erzählung wie eine rasche Zugfahrt zwischen vorgegebenen Stationen wirkt, auf der die Konturen der draußen vorbeihuschenden Landschaft nur verwaschen erkennbar sind. Die Oberfläche der Geschichte wird dadurch zu glatt, als dass sich die Gedanken des Lesers daran festhalten könnten und Figuren und Situationen distanziert bleiben.

Andererseits stellt die Autorin eintönigen Wortwiederholungen sehr wohl kreative Metaphern ("Ihre Nevern hängen in Fetzen ...", "Hirnschalen voller Asche") gegenüber und widerlegt damit den Verdacht eines eingeschränkten Vokabulars. Sie reflektiert immer wieder über ihren eigenen Beruf der Schriftstellerin, erweist sich vertraut mit stilistischen Werkzeugen. Auch die Figuren, von denen ihre Protagonistin Derya flankiert ist, wirken in ihrer sorgfältigen Zeichnung beinahe allegorisch und repräsentieren die inneren Dialoge in einer äußeren Form.  Ihre Nachbarin, die den Spitznamen "Sonne" trägt, steht für Optimismus und Lebenslust. Eine junge obdachlose Ausreißerin verkörpert sowohl den auf das Notwendigste reduzierte Überlebensinstinkt, als auch eine vorsichtig warnende Stimme. Die Verlegerin schließlich spiegelt Derys Pflichtbewusstsein.

Die entstehende Ambivalenz zwischen schriftstellerischer Versiertheit und einem oft ungelenk erscheinenden Sprachduktus verleiht dem Roman stellenweise experimentellen Charakter. Die Geschichte selbst - eine junge Frau sieht sich von einem Unbekannten verfolgt - bietet wenig Originelles und wirkt unnötig in die Länge gezogen. Das Finale löst zwar alle aufgetretenen Ungereimtheiten auf, vermag aber die zuvor vermisste Spannung nicht zu kompensieren.

Persönliches Fazit

"Mein Wille Geschehe" wirkt wie eine Sammlung stilistischer Etüden im Gewand einer zeitgeistgeschuldeten Stalker-Geschichte.

© Rezension: 2016, Wolfgang Brandner


Mein Wille geschehe | Jennifer Benkau | Bastei Lübbe
2017, Paperback, 334 Seiten, ISBN: 978-3-431-03981-8


[wolfgang]  

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