Rezension: The Girl Before | JP Delaney

Ein ungewöhnlicher Psychothriller






Nach einem Schicksalsschlag braucht Jane dringend einen Neuanfang. Daher überlegt sie nicht lange, als sie die Möglichkeit bekommt, in ein hochmodernes Haus in einem schicken Londoner Viertel einzuziehen. Sie kann ihr Glück kaum fassen, als sie dann auch noch den charismatischen Besitzer und Architekten des Hauses kennenlernt. Er scheint sich zu ihr hingezogen zu fühlen. Doch bald erfährt Jane, dass ihre Vormieterin im Haus verstarb – und ihr erschreckend ähnlich sah. Als sie versucht, der Wahrheit auf den Grund zu gehen, erlebt sie unwissentlich das Gleiche wie die Frau vor ihr: Sie lebt und liebt wie sie. Sie vertraut den gleichen Menschen. Und sie nähert sich der gleichen Gefahr. [© Text und Cover: Penguin Verlag]

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Das Erste, was mir auffällt, ist die ungewöhnliche Struktur des Buchs. Schon nach drei bis vier Seiten wechselt das Kapitel von Jane heute zu Emma, die ein paar Jahre zuvor im selben Haus gewohnt hat. Die Geschichten der beiden werden quasi gleichzeitig erzählt. Da beide aus der Ich-Perspektive geschrieben sind, ist es gar nicht so einfach, sie auseinanderzuhalten. Dass bei Emmas Teil die Anführungszeichen bei Gesprächen weggelassen wurden, hilft da nur bedingt weiter. Mit etwas Aufmerksamkeit geht das aber trotzdem.

Das Haus in der Folgate Street 1 ist ein besonderes: es wurde von dem Stararchitekten Edward Monkford entworfen und besticht durch einen minimalistischen Stil. Die Miete ist außergewöhnlich niedrig, was daran liegt, dass das Mietverhältnis durch zahlreiche Auflagen beschränkt wird. Beispielsweise ist es nicht erlaubt, eigene Möbel aufzustellen oder Bilder an die Wände zu hängen. Da der durchschnittliche Mietpreis in London ihr Budget sprengt, sind sowohl Jane wie auch Emma froh über diese Gelegenheit. Allerdings müssen sie sich erst bei Monkford für das Haus bewerben. Der Architekt hat dafür extra einen Fragenkatalog aufgestellt. Es ist eine nette Idee, das Buch hin und wieder mit einer davon aufzulockern. Die Bewerberinnen wundern sich anfangs, dass diese Fragen eigentlich nicht direkt zum Mietverhältnis passen, sie sind eher psychologischer Natur. Aber Monkford wird sich schon etwas dabei gedacht haben...












Zum Bewerbungsverfahren gehört auch ein persönliches Vorstellungsgespräch bei Edward Monkford. Sowohl Emma wie auch Jane sind sehr beeindruckt von seiner Persönlichkeit. Sie sind fasziniert davon, dass er sowohl bei seiner Arbeit als Architekt als auch als Mensch sein Ding durchzieht, ohne auf die Meinung der anderen Rücksicht zu nehmen. Ein Alphamann, wie Emma meint, und ihn damit mit ihrem eher sanften und durchschnittlichen Freund vergleicht. Dass der nicht annähernd so begeistert von ihm ist wie sie, ist verständlich. Seine kompromisslosen Ansichten teilt er nicht.

„Zwischenmenschliche Beziehungen, so wie das menschliche Leben insgesamt, neigen dazu, Überflüssiges anzuhäufen", sagt er leise. „Valentinskarten, romantische Gesten, bedeutungslose Kosenamen – die ganze Langeweile und Trägheit von Angst geprägter, spießiger Beziehungen, die abgelaufen sind, noch ehe sie richtig begonnen haben." (S. 91)





Zwei Faktoren machen die Spannung des Buchs aus: wir wissen zwar, dass Emma gestorben ist, allerdings nicht, wie genau. War es wirklich nur ein Unfall oder hat sie jemand auf dem Gewissen? Und vor allem: was passiert mit Jane? Wird es sie auch treffen? Steckt der charismatische Architekt dahinter? Wieso hat die Polizei nichts ermittelt nach Emmas Tod? Meisterhaft hat Delaney den Plot inszeniert und führt uns Stück für Stück an die Wahrheit heran. Es dauert zwar, bis sich die Spannung aufbaut, dranbleiben lohnt sich aber. Der Autor arbeitet auch die psychischen Störungen der Protagonisten sehr gut aus. Denn „normal" ist von denen eigentlich keiner. 

Persönliches Fazit

„The Girl Before" ist ein Psychothriller, der mich langsam aber sicher in seinen Bann gezogen hat. Die Beweggründe, die Schwächen und die Motivation der Charaktere hat Delaney sehr sorgfältig dargestellt und tragen gut zur Spannung bei. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen!

© Rezension: 2017, Marcus Kufner

The Girl Before | JP Delaney | Penguin Verlag
2017, broschiert, 400 Seiten, ISBN: 9783328100997
Aus dem Englischen von Karin Dufner


[marcus]

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