Rezension: Monteperdido – Das Dorf der verschwundenen Mädchen | Agustín Martínez

Thrillerspannung in der Abgeschiedenheit der Pyrenäen

 


Hoch oben unter bedrohlichen Pyrenäen-Gipfeln liegt das Dorf Monteperdido. Hier, wo die Menschen noch eine verschworene Gemeinschaft bilden. Hier, wo vor fünf Jahren die beiden elfjährigen Mädchen Ana und Lucía spurlos verschwunden sind. Da taucht völlig unerwartet die inzwischen sechzehnjährige Ana wieder auf, bewusstlos in einem Wagen, der in eine Schlucht vor Monteperdido gestürzt ist. Kommissarin Sara Campos von der Bundespolizei lässt sofort die Straßen absperren; eine verzweifelte Suche beginnt. Wo ist Lucía? Ist sie noch am Leben? Doch die Berge um Monteperdido schweigen, trügerisch rauschen die Pappelwälder, gefährlich schwillt der reißende Fluss Esera an. Unter den Bewohnern von Monteperdido greifen die Verdächtigungen um sich: War es ein Fremder oder einer von ihnen? [© Text und Cover: S. Fischer Verlage]

[trennlinie]

Sie besuchen zusammen die Schule und spielen gemeinsam im Schnee, eine sorglose Kindheit haben die beiden Mädchen in ihrem Dorf. Das ist mit einem Schlag vorbei, als sie spurlos verschwinden. Die Ermittlungen der Polizei bleiben erfolglos. Schon nach wenigen Seiten springen wir fünf Jahre in die Zukunft. Wie sind die Eltern damit umgegangen, dass ihre Kinder nicht mehr zu finden sind? Haben sie sich irgendwann damit abgefunden und ihr Leben weitergelebt? Oder sind sie daran zerbrochen? Ich glaube nicht, dass es möglich ist, das ohne emotionale oder psychische Schäden zu verkraften.




Ich bin beeindruckt, wie intensiv dieser Kampf der Eltern gegen die Ungewissheit und Verzweiflung geschildert wird. Sogar einer der Väter gerät in Verdacht, der Entführer zu sein. Da fängt sogar seine Frau an, an ihm zu zweifeln. Kennt man die Menschen wirklich so gut, wie man glaubt? Das zieht sich letztlich durch das ganze Dorf. Hier kennt ja jeder jeden. Und trotzdem verbergen sich viele Geheimnisse unter den Einwohnern. Damit kann praktisch jeder Schuld auf sich geladen haben. Agustín Martínez baut dieses Szenario sehr gut auf. Die Charakterisierung ist bis zu den Nebenrollen ausgezeichnet.

„Die Bewohner von Monteperdido waren alle auf die eine oder andere Weise miteinander verbunden. Taufpaten, Schulkameraden, Schwestern oder Freundinnen, die zusammen ihre Kinder erzogen, gemeinsame Feste und die langen lichtlosen Winter, ringsum nur Berge und die Tiere, die dort lebten. Hirsche, Rehe, Wildschweine. Ein paar Füchse, die in den Wäldern am Monte Ármos und am Ixeia lebten. Geliebt und gejagt. Tiere und Menschen, deren Leben eng miteinander verbunden war. Das war Monteperdido." (S. 148)

Oft drängen sich die Ermittler in Krimis oder Thrillern mit ihren großen und kleinen Problemen in den Vordergrund und halten mich von der spannenden Geschichte ab. Zwar hat Sara Campos, die jetzt nachdem Ana gefunden wurde, die Ermittlungen übernimmt, auch eine Vergangenheit, die sie belastet. Aber die Ausführungen dienen eher dazu, ihre Motivation zu ergründen und stört mich nicht. Sie konzentriert sich meist auf die akribische Polizeiarbeit. Ihre Schlussfolgerungen, Erkenntnisse aber auch ihre Fehler sind gut nachvollziehbar. Das macht die Story sehr glaubhaft und spannend.




Ein wichtiger Bestandteil des Buchs ist die Umgebung. Die karge, schroffe und bergige Landschaft in den Pyrenäen hat einen ganz besonderen Reiz. Die Felshänge und tiefen Schluchten sind genauso faszinierend wie einschüchternd. Da kann man sich sehr einsam fühlen, so am Rand der Welt. Damit erzeugt der Autor eine melancholische Atmosphäre, der ich mich nicht entziehen konnte.

Persönliches Fazit

„Monteperdido" besticht durch die Stimmung, die durch die spektakuläre Landschaft verursacht wird, und durch die starke Charakterisierung der Einwohner. Die Kombination mit dem dramatischen Fall und seinen Wendungen erzeugt feinste Thrillerspannung.

© Rezension: 2017, Marcus Kufner


Monteperdido – Das Dorf der verschwundenen Mädchen | Agustín Martínez | S. Fischer Verlage
2017, broschiert, 496 Seiten, ISBN: 9783596036585
Aus dem Spanischen von Lisa Grüneisen

[marcus]

Labels: , ,