Die dramatische Geschichte eines geteilten Landes
Seoul, im April 1960. Johnny Kim, seine Geliebte Eve Moon und sein bester Freund aus Kindertagen Yunho Kang sind auf der Flucht vor der berüchtigten Nordwest-Jugend, einer antikommunistischen, paramilitärischen Schlägertruppe im Dienst der Regierung Südkoreas. Diese steht kurz vor dem Zusammenbruch, seit Wochen geht die Bevölkerung gegen den autokratischen Präsidenten Rhee auf die Straße. Gemeinsam wagen Johnny, Eve und Yunho die illegale Überfahrt nach Japan und finden Unterschlupf und Arbeit im koreanischen Viertel Osakas. Doch schon bald werden sie von ihrer Vergangenheit eingeholt: Ein Mädchen ist verschwunden, und der Verdacht fällt auf Johnny … [© Text und Cover:
Suhrkamp Verlag]
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Als Angehöriger eines ehemals in Ost und West getrennten Staates fühle ich mich in gewisser Weise verbunden mit Korea, dem immer noch in zwei Systeme geteilte Land. Und doch ist es ein exotisches. So weit wie es von uns weg liegt, sind mir die Kultur und Geschichte der Halbinsel ziemlich fremd. „Die große Heimkehr" bringt mir genau das näher.
Immer wieder gibt es Abschnitte, die sich mit der politischen Situation beschäftigen. Das beginnt nach Ende des zweiten Weltkriegs und mit dem damit einhergehenden Abzug der japanischen Besatzungstruppen, streift den Koreakrieg und beschreibt, wie sich die beiden Staaten Nord- und Südkorea gebildet und in den 50er und 60er Jahren entwickelt haben. Diese Texte sind etwas sachbuchlastig, aber äußerst interessant. Im Süden ging das Schreckgespenst des Kommunismus um, im Norden wollte man diesen Idealismus um jeden Preis durchsetzen. Was zählt da schon der Einzelne? Wer nicht auf Linie ist, wird verhaftet, umerzogen oder gar ermordet.
„in den fünfziger Jahren lag der Wert eines Menschenlebens unter dem Wert einer Schüssel Reis." (S. 196)
Es wäre beruhigend zu wissen, wenn so ein rücksichtsloses Verhalten der Mächtigen der Vergangenheit angehören würde. Leider gibt es auch heute noch zu viele Länder, in denen es noch so zugeht. Nichts ist so brutal wie die Realität.

Wie einfach ist es doch, in Schubladen zu denken. Der „Schurkenstaat" Nordkorea ist böse und die Südkoreaner sind die Guten? Anna Kim lässt sich nicht von diesem Schwarz-Weiß-Denken verleiten. Sehr differenziert stellt sie dar, dass auch im Namen der Freiheit, gegen den Kommunismus und unter der Protektion der USA Verbrechen begangen wurden. Das gibt zu Denken und wirkt nach.
In diese sehr unruhige Zeit zwischen Krieg und politischer Unruhen setzt die Autorin ihre drei Protagonisten. Sie bekommen die Armut und die Verfolgung zu spüren. Ständig leben sie in Angst vor Bespitzelung, kaum einem Freund oder Nachbarn scheint man trauen zu können. Als sie sich schließlich nach Japan absetzen, sind sie dort auch nicht willkommen. Die Koreaner werden dort wie Menschen zweiter Klasse behandelt.
„Wie lange muss man Ausländer sein, bis man sich Inländer nennen darf? Wie inländisch geboren muss der Geborene sein, bis er dem Ausländischen entwachsen ist?" (S. 329)
Wie so oft wird das Fremde erst mal abgelehnt und schlechtgeredet, anstatt die Geflüchteten mit ihren Fähigkeiten als Bereicherung anzunehmen.
Persönliches Fazit
Anna Kim führt in „Die große Heimkehr" die Absurdität und Unmenschlichkeit politischer Systeme in einer klaren und eindringlichen Sprache vor Augen. Durch die sachlichen politischen Ausführungen hat es zwar etwas gedauert, bis ich in die Geschichte hineingefunden habe, sie verschafft mir damit jedoch ein großes Verständnis für die Situation in Korea. Hochinteressant und packend!
© Rezension: 2017, Marcus Kufner
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