Der alte Mann und … der Hund
Ein einsamer Mann Mitte fünfzig kommt ins Tierheim. Ray braucht einen Hund, wegen der Ratten in seinem Haus, und sucht sich den traurigsten Köter von allen aus: Im Kampf mit einem Dachs hat Einauge den Kürzeren gezogen; er ist sehr schreckhaft, immer hungrig, und wenn andere Hunde in der Nähe sind, wird er aggressiv. Ray, der die von den Eltern ererbte Bruchbude am Meer bisher kaum verlassen hat, findet in dem Hund einen Gefährten. Frühmorgens unternehmen die beiden lange Spaziergänge am Strand – bis eines Tages eine Frau mit Hund ihren Weg kreuzt. Einauge fällt den Rivalen an, und das Unheil nimmt seinen Lauf. Am nächsten Tag steht eine Polizistin vor der Tür. Ray wimmelt sie ab und flieht mit Einauge in seinem klapprigen Auto. So fahren die beiden, Menschen meidend, die irische Atlantikküste hinab, während es draußen immer kälter und das Geld immer weniger wird. Am Ende, beide essen längst nur noch Trockenfutter, müssen sie umdrehen. Und der Leser erfährt bei Rays Heimkehr dessen ganze traurige Lebensgeschichte, von der er sich nur durch die Verbindung mit seinem Hund hat befreien können. [© Text und Cover:
Rowohlt Verlag]
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Sara Baume gelingt mit ihrem Debütroman etwas, das nicht vielen gelingt: ihr Sprachstil zieht mich sofort in seinen Bann und fasziniert mich schon auf den ersten Seiten. Trotz ihrer eigentlich schnörkellosen Ausdrucksweise ist er immer wieder poetisch und ein wenig melancholisch. Der ganze Roman ist von seiner Form her so gestaltet, dass Ray mit seinem Hund spricht. Das ist außergewöhnlich, funktioniert aber einwandfrei. Es macht den Text zu etwas Intimem.
„Du knurrst, als der Wärter dich am Genick packt und dir das Halsband anlegt, aber du schnappst nicht nach ihm. Und dein Gang, deine Bewegungen zeugen nicht von Aggressivität oder Bosheit." (S. 14)
Ray ist einer der Menschen, die kaum jemand beachtet. Er geht nur selten aus dem Haus und beschränkt sich dann auf das absolut Notwendige an Kommunikation. Ein Eigenbrödler, in dem die Nachbarn einen Spinner sehen, dem sie lieber aus dem Weg gehen. Klingt nach einem totalen Langweiler. Als Leser verfolgen wir seine Gedanken, und die sind durchaus interessant, gerade deshalb, weil er seiner eigenen Logik folgt. Immer wieder erinnert er sich an seine Kindheit. Irgendetwas muss da vorgefallen sein, was ihn so anders gemacht hat gemäß dem Prinzip Ursache und Wirkung. Und diese Wirkung ist durchaus fatal…
Rays Gedanken kreisen auch um Philosophisches. Was bedeutet es, Mensch zu sein? Was ist der Sinn einer Gemeinschaft? Er hat dazu seine eigene Meinung und stellt sich dabei immer selbst in Frage.
„Es war falsch, dir etwas von meiner Menschlichkeit überstülpen zu wollen – schließlich hat es mir nie viel gebracht, ein Mensch zu sein." (S. 46)
Persönliches Fazit
„Die kleinsten, stillsten Dinge" ist eine bemerkenswerte Außenseitergeschichte mit Tiefgang. Ich war von Anfang an begeistert von Sara Baumes schlichtem und doch poetischem Sprachstil. Ein großartiger Debütroman.
© Rezension: 2016, Marcus Kufner
Die kleinsten, stillsten Dinge | Sara Baume | Rowohlt Verlag
Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren
2016, gebunden, 288 Seiten, ISBN: 9783498058111