Krakau, 1939. Anna ist noch ein Kind,  als die Deutschen ihren Vater mitnehmen, einen jüdischen  Intellektuellen. Sie versteht nicht, warum. Sie versteht nur, dass  sie allein zurückbleibt. Und dann trifft Anna den Schwalbenmann.  Geheimnisvoll ist er, charismatisch und klug, und ebenso wie ihr  Vater kann er faszinierend viele Sprachen sprechen. Er kann  Vogellaute imitieren und eine Schwalbe für sie anlocken. Und er kann  überleben – in einer Welt, in der plötzlich alles voller  tödlicher Feindseligkeit zu sein scheint. Anna schließt sich dem  Schwalbenmann an, lernt von ihm, wie man jenseits der Städte  wandert, sich im Wald ernährt und verbirgt. Wie man dem Tod  entkommt, um das Leben zu bewahren. Aber in einer Welt, die am  Abgrund steht, kann alles gefährlich werden. Auch der Schwalbenmann.[© Text und Cover:
 cbt Verlag]
 
[mk] Gerade einmal sieben Jahre ist  Anna an dem Tag alt, als ihr Vater nicht mehr nach Hause kommt. Sie  wartet bei einem befreundeten Apotheker auf ihn, der sie zwar in der  kommenden Nacht in seinem Laden übernachten lässt, sie am nächsten  Morgen allerdings auf die Straße setzt, sich mit einem Judenmädchen  abzugeben ist ihm zu gefährlich. Glücklicherweise trifft sie auf  den Schwalbenmann, der das aufgeweckte und clevere Mädchen nicht  ignoriert. 
Seinen Namen verrät er ihr nicht, denn Namen können in  diesen Zeiten gefährlich sein. Gemeinsam verlassen sie die Stadt und  ziehen durch die Wälder Polens, um möglichst nicht entdeckt zu  werden.
 
Das Buch ist zwar nicht aus der  Ich-Perspektive geschrieben, trotzdem erzählt es aus Annas Sicht.  Die Wahrnehmung eines jungen Mädchens ist eine ganz andere als die  eines erwachsenen Beobachters. Viele Geschehnisse kann sie zwar  beschreiben, oft versteht sie die Zusammenhänge aber nicht, oder sie  kennt die Gründe dafür nicht. Entweder erklärt sie sich die Dinge  auf ihre eigene Art oder sie akzeptiert sie so, wie sie sind. Das  verschafft dem Thema einen besonderen Blickwinkel.   
 
Der Roman wird nicht von Brutalität  oder Verzweiflung bestimmt, er ist in einem angenehmen, ruhigen Ton  gehalten. Vieles wird nur angedeutet oder ist zwischen den Zeilen zu  lesen. Das löst eine melancholische Traurigkeit aus, die aber trotz  Hunger, Kälte, Angst und Einsamkeit Platz lässt für das  Wichtigste: Hoffnung.
 
Besonders im Fokus stehen die beiden  Hauptcharaktere: wenn man über eine lange Zeit zusammen unterwegs  ist, sollte man sich vertrauen können. Aber wer ist dieser  schweigsame Mann, der so korrekt und distanziert ist und sich doch  auf seine Art um Anna kümmert? Welches Geheimnis behütet er so  sorgfältig? Anna ist gut erzogen, sie geht ihm nicht mit Neugierde  auf die Nerven. Sie ist wissbegierig und lernt viel von ihm, nicht  zuletzt zu überleben.
 
Die schöne Aufmachung mit den  Illustrationen vor jedem Kapitel unterstreicht die Stimmung des Buchs  ausgezeichnet. Sie passt gut zu der Poesie, die sich immer wieder  auch im Text wiederfinden lässt.
 
„Es war ein ewiges Rätsel, wie mitten im größten Grauen das Wetter so ungerührt warm, hell und heiter sein konnte. Grauen gab es auch an diesem Tag viel, und es war nicht weit entfernt von der Stelle, an der Anna saß. Doch die Sonne schien zum Glück nichts davon mitzubekommen."(S. 116)
 
PERSÖNLICHES FAZIT
ANNA UND DER SCHWALBENMANN ist ein  ruhiges und stimmungsvolles Buch, das trotz der trostlosen, harten  Zeit die Menschlichkeit nicht untergehen lässt. Die schöne  Aufmachung unterstreicht den gelungenen poetischen Grundton des  Textes. Eine Leseempfehlung nicht nur für Jugendliche, die Bücher  mit Tiefgang mögen.
 
© Rezension: 2016, Marcus Kufner    
Anna und der Schwalbenmann | Gavriel  Savit | cbt Verlag
Aus dem Englischen von Sophie Zeitz / Illustrationen von Laura Carlin
Altersempfehlung: ab 14 Jahren
29.02.2016, gebunden, 288 Seiten, ISBN:  9783570164044
[marcus]