So lautet nicht nur der Titel dieser Ausgabe von AUFGELESEN, sondern auch jener einer festen Rubrik im BÜCHERMAGAZIN. Dabei werden Zeitgenossen, die gerade in der Eisenbahn mit einem Buch erspäht werden, dazu eingeladen, über ihre Lektüre zu plaudern.
Einer im März dieses Jahres durchgeführten Studie des Linzer Meinungsforschungsinstitus IMAS zufolge, könnten zumindest in Österreich sehr viele Menschen derart angesprochen, keinen Titel nennen. Auf die Frage "Wie häufig lesen Sie in Ihrer Freizeit ein Buch?" wählten 48 % der Befragten die Antwort "Seltener bzw. nie". In der zeitlichen Entwicklung lässt sich in ähnlicher Weise ein wenig erfreuliches Bild erkennen.
Gaben im Jahr 1973 noch knapp zwei Drittel an, sich beliebiger Lektüre "Sehr gern" bzw. "Ziemlich gern" zu widmen, so sind es aktuell nur mehr 46 Prozent, die Freude im Lesen finden.
Am anderen Ende des Spektrums, also dort, wo die Beschäftigung mit Büchern, Zeitschriften und Zeitungen als nicht erbaulich empfunden wird, hingegen verdreifachte sich der Wert.
Aber genug der Zahlen, wer sich genauer für Erhebung und Methodik interessiert, findet am Ende dieses Artikels den Link dazu. Auf einem Blog für Bücherfreunde die sinkende Lesemoral zu beklagen, ist ohnehin müßig. Vielmehr ist es doch interessant, was dies nun für uns bedeutet.
Der
erste naheliegende Schluß ist, daß die Menschen ihre kostbare Freizeit mit anderen Aktivitäten verbringen. Möglichkeiten zur Zerstreuung gibt es ausreichend, alleine in Soziale Medien (die in den 1970er Jahren noch kein Thema waren) kann man viele Stunden investieren. Demzufolge dürfte auch der Buchmarkt wenn schon nicht kleiner, so doch wesentlich härter umkämpft als noch vor einigen Dekaden werden. Verlage müssen finanzielle Konsequenzen ziehen, Einsparungen vornehmen.
Der naheliegende Gedanke ist daher, auf bekannte Autoren und Titel zu setzen, und die Bereitschaft, auf junge Talente zu setzen, entsprechend reduzieren. Dazu kommt, daß durch die Digitalisierung von Büchern die Produktion und Vermarktung von Texten in einem bisher ungekannten Ausmaß möglich ist. Die Selfpublishing-Szene blüht, jeder, der mit ausreichend Selbstvertrauen ausgestattet ist, kann - überspitzt ausdgedrückt - seine Schulaufsätze als große Literatur verkaufen. Gewiß schlummert in so manchem Zeitgenossen das Potential, sich nach einer Reifungsphase mit diesem Attribut zu schmücken, vielen von ihnen möchte man allerdings spontan den Begriff "Lektorat" vor die Nase buchstabieren.
Wie aber trennt man nun die Spreu vom Weizen, wie findet man die Nadel im berühmten Heuhaufen?
Bisher erfüllten da die Verlage die Funktion des Magneten. Branchenerfahrene Lektoren sichteten die eingesandten Manuskripte und ließen üblicherweise mehr Ablehnungsschreiben als Vertragsangebote verfassen. Daß es dabei auch zu Fehleinschätzungen kam (Stichwort: Joanne Rowling), liegt in der menschlichen Natur, war aber (hoffentlich) eher die Ausnahme. Aber warum denn die Vergangenheitsform, das System funktioniert doch nach wie vor auf diese Weise, oder? Natürlich. Nach wie vor arbeiten sich Verlagsmitarbeiter durch unverlangt eingesandte Texte, allerdings ist auch eine Art passives Abwarten zu beobachten. Es entsteht der Eindruck, als würde man den Markt für selbstproduzierte elektronische Bücher aufmerksam beobachten, um dann gezielt jene Autoren zu umwerben, die durch besondere Hartnäckigkeit und wiederholt positive Beurteilungen aus der Masse herausragen. Aus der Sicht der Verlage ist diese Strategie mit wenig Risiko verbunden und gewiß erfolgsversprechend, aus Sicht der Autoren ist hier eine zermürbende intellektuelle Castingshow im Netz zu absolvieren. Bis man im Rampenlicht der Aufmerksamkeit steht, muß man Rezensionsexemplare vergeben, in Leserunden präsent sein und dabei möglichst keinen Leser verstimmen. Und ganz nebenbei soll auch schon am nächsten Bestseller gefeilt werden, der als Mißerfolg gewertet wird, wenn er den Debütroman nicht übertrifft.
Ist das tatäschlich der Buchmarkt, den wir uns wünschen? Sieht so die Literaturszene der Zukunft aus?
Oder wird hier nicht ein Klima geschaffen, das erzählerlerische Fließbandware begünstigt und Originalität erstickt? Tatsächlich kann bei manchen Autoren, die ausschließlich in elektronischer Form veröffentlichen, der Eindruck enstehen, eine einmal erfolgreiche Handlungs- und Figurenschablone werde wiederholt angewandt, ohne dabei auf stilistische Weiterentwicklung zu achten. Auch den als zuverlässig erachteten Indikatoren wie Rezensionen oder Bewertungen per Sternesystem ist dabei nicht immer zu trauen, da sie durch eine Flut eingeforderter Gefälligkeiten ausgehelbelt werden können.
Inzwischen scheint man auch von seiten der Vertriebsplattformen auf diese Situation aufmerksam geworden zu sein, wie etwa Leitfäden für Selfpublisher oder Wettbewerbe für Jungautoren bewesen. Auch renommierte Verlagshäuser bieten mittlerweile mit spezialisierten Zweigen und Programmen professionelle Qualitätssicherung für eBooks und erleichtern so jungen Autoren den Einstieg in den hart umkämpften Markt. Ist die Aufregung um schlechte Bücher also nur ein Sturm im Wasserglas? Keineswegs, führt sie doch deutlich vor Augen, daß einerseits das Verfassen von Romanen eine professionelle Aufgabe ist, die neben Kreativität auch ein ausreichendes Maß an Konsequenz erfordert und anderereseits, wie wertvoll das Wirken der Verlagshäuser ist.
Doch bei all den zahlreichen Neuerscheinungen, die unser Interesse wecken, seien es von etablierten Verlagen intensiv beworbene, seien es jene, die ohne derartige Unterstützung auskommen müssen ... an welche von ihnen werden wir uns auch in einem Jahr noch gerne erinnern, welche werden sich dann als Eintagsfliegen in der Buchhandlung herausgestellt haben? In seinem kürzlich erschienenen Thriller
FINDERLOHN, der als Liebeserklärung an die Literatur verstanden werden kann, versucht sich
Stephen King an einer leidenschaftlichen Lösung:
"Ja! Die Zeit sondert erbarmunglos das Langweilige und das Nicht-Langweilige aus. Das ist ein natürlicher Prozess im Sinne von Darwin."
Freudiges Weiterlesen!
© Kolumne, Wolfgang Brandner
Quellen:
Studie des IMAS:
http://www.imas.at/images/imas-report/2016/11_Lesemuffel_oder_Leseratten_im_digitalen_Zeitalter.pdf
Stephen King: Finderlohn
Heyne | 2015 | ISBN: 978-3-453-27009-1