DER BLICK FREMDER AUGEN | ANDREA SAWATZKI


Als eine reiche Immobilienbesitzerin mit durchtrennter Kehle aufgefunden wird, hat Kommissarin Melanie Fallersleben zunächst keine heiße Spur. Nichts lässt erahnen, dass hinter dem Mord eine gequälte Seele steckt. Ein Mensch, der sich beständig beobachtet fühlt und dessen brutale Taten, geboren aus Verzweiflung und Schuldgefühl, durch ein allzu normales Leben gut verborgen sind. Weitere Tote folgen … und erste verstörende Botschaften an die Ermittlerin treffen ein. Der Mörder scheint die Kommissarin zu beobachten, die Rollen von Jäger und Gejagtem verschwimmen. [Klappentext & Cover: © Droemer Verlag]

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[az] Wer bei Sawatzkis "Der Blick fremder Augen" auf einen Krimi mit hohem Spannungsbogen hofft, bei dem man bis zum Letzten mitfiebert, wer denn nun der Täter sein könnte, der hofft vergeblich. Zugegeben: der Klappentext lässt genau dies vermuten. Dennoch lohnt sich das Lesen dieses Krimis wahrlich, denn trotz des Fehlens des gerade erwähnten Spannungsbogens befindet man die ganze Zeit über in einem gewaltigen Lese-Sog, ist dem Geschehen quasi ergeben.

Sawatzki weiß ihre Leser auf ganze andere Weise zu fesseln. Sie zeichnet ein schockierendes und doch so spannendes Psychogramm einer gequälten Seele, die von ihrer Vergangenheit eingeholt wird, und blickt dabei in tiefe Abgründe. Das "Wer" ist relativ schnell klar, die Autorin befasst sich lieber intensiv mit dem "Warum". Was treibt den Täter an, was geht im Inneren dieser Person vor und was sind die Ursachen für solch ein brutales Verhalten?

Die Kommissarin Melanie Fallersleben, die selbst gerade mit Problemen zu kämpfen hat und alles andere als glücklich ist, muss sich mit eben diesen Fragen auseinandersetzen und sie weiß, dass ihr nicht viel Zeit für das Finden der Antworten bleibt, wenn sie weitere grausame Morde verhindern will. Bald erhält sie Botschaften, die sie erst nicht zuordnen kann aber die sich dann nach und nach zu den fehlenden wichtigen Puzzleteilen entpuppen.
Es entwickelt sich ein psychologisches Katz-und-Maus-Spiel. Fühlt sich die gequälte Seele ständig überall beobachtet, tut sie mit der Kommissarin doch genau das selbe - die Rollen zwischen Jäger und Gejagtem scheinen zu verschwimmen...
Mit der Zeit wird klar, was die beiden zusammenführt und die Spuren der Vergangenheit werden immer deutlicher. Spuren, die längst vergangen sind, aber unfassbare Auswirkungen auf die Gegenwart haben. Nicht Verarbeitetes holt einen immer wieder ein, lässt nicht los und kann sich schlimmstenfalls so manifestieren, dass man unglaubliche innere Qualen durchlebt und irgendwann nicht mehr Herr seiner Sinne ist, dem Blick fremder Augen nicht mehr standhalten kann.

Der klare und eindringliche Stil der Autorin passt wunderbar zum Geschehen. Kurze, teils abgehackte Sätze symbolisieren Kurzatmigkeit und hektisches Umherblicken, zeigen innere Zerrissenheit auf. Es entwickelt sich ein Sog und man liest Seite um Seite, und es schleicht sich das Gefühl ein, dass man selbst immer wieder kurz den Atem anhalten möchte.

PERSÖNLICHES FAZIT

Mit leisen aber sehr eindringlichen Tönen erstellt die Ex-Tatort-Kommissarin Andrea Sawatzki ein Psychogramm einer gequälten und verstörten Seele. Ein vorhersehbarer Krimi ohne großen Paukenschlag, der dennoch Seite für Seite einen einnimmt und fesselt und tief unter die Haut geht.


© Rezension: 2016, Alexandra Zylenas


Der Blick fremder Augen | Andrea Sawatzki | Droemer Knaur Verlag

2015, HC mit 304 Seiten, ISBN 978-3-426-28139-0



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