Von Griechenland bis Niedersachsen, von den Fünfzigerjahren bis in die Gegenwart: In ihrem neuen Roman erzählt Vea Kaiser in ihrem einzigartigen Ton von der Glückssuche einer Familie und deren folgenreichen Katastrophen, von Möchtegern-Helden und Herzensbrechern. Und von der großen Liebe, die man mehrmals trifft. In einer niedersächsischen Kleinstadt wird die Erotik der deutschen Sprache entdeckt. In der österreichischen Provinz sehnt sich ein skurriler Schlagerstar nach einer Frau, die er vor 40 Jahren verlor. In einer Schweizer Metropole macht ein liebeskranker Koch dank pürierter Ameisen Karriere. Und auf einer griechischen Insel sucht ein arbeitsloser Gewerkschafter verzweifelt seinen Ehering, um dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. Doch alles beginnt in einem vom Krieg entzweiten Dorf an der albanisch-griechischen Grenze. Mit einer Großmutter und Kupplerin par excellence, die keine Intrige scheut, um den Fortbestand ihrer Familie zu sichern. Und mit der klugen, sturen, streitbaren Eleni und ihrem Cousin Lefti, der sich nichts sehnlicher wünscht als Frieden. Als Kinder unzertrennlich, entzweien sich die beiden umso stärker als Erwachsene. Und kommen doch nie voneinander los.
[© Text und Bild: Verlag Kiepenheuer & Witsch]
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mk] Im Mittelpunkt dieser Familiensaga stehen Lefti und Eleni. Ihre Geschichte beginnt in den fünfziger Jahren in der griechischen Provinz zu einer Zeit, als das Land nach Ende des zweiten Weltkriegs auf der Suche nach einer politischen Zukunft ist.
Die beiden sind Cousin und Cousine, trotzdem haben ihre Angehörigen von Geburt an ihre Heirat geplant, um der Familie und dem Dorf die Zukunft zu sichern. Lefti ist zwar in der Spur, Eleni weigert sich jedoch grundsätzlich zu heiraten. Wie so oft im Leben kommt es anders als geplant. Mal sind politische, mal wirtschaftliche Umstände oder persönliche Empfindsamkeiten schuld daran, dass ein Familienmitglied ausbricht und sein Glück in der Ferne sucht. Während des Romans reisen wir über Kontinente und durch die Zeit und verfolgen die Generationen der Familie auf der Suche nach Glück und Selbstverwirklichung.
Vea Kaiser beschreibt ihre Charaktere, die Orte und die gesellschaftlichen Zusammenhänge detailliert. Das erzeugt Glaubwürdigkeit und eine hohe erzählerische Dichte. Ich komme mir so vor, als wenn ich die Schauplätze selbst besucht hätte und die Protagonisten persönlich kennen würde, so intensive Bilder ruft das bei mir hervor. Dabei ist ihr Schreibstil unkompliziert und angenehm. Auch kulturelle Unterschiede, beispielsweise zwischen den Griechen und Deutschen, stellt sie diffizil und mit einem Augenzwinkern dar.
Wie es für eine richtige Familie gehört, kommt die gesamte Breite der Emotionen vor. Mal bricht einer den Kontakt zu den Verwandten aus Stolz und Enttäuschung ab (mit dem Verzeihen und um Entschuldigung bitten haben sie es nicht so sehr), dann wird auch mal einer verstoßen, obwohl die Gründe dafür auf einer Lüge basieren – Kommunikation hilft doch immer wieder. Ob Freude, Trauer, Verzweiflung, Hoffnung – ich bin immer am Mitfiebern.
Gut gefallen hat mir die Verbindung zu den griechischen Mythen. Wie zu Homers Zeiten werden die Kapitel im Buch als Gesänge bezeichnet. Oder die Großmutter erzählt eine Geschichte von Zeus und anderen Göttern. Der Spagat zur Moderne gelingt, wenn Eleni sich als Heldin oder Amazone sieht.
PERSÖNLICHES FAZIT
Ein Familienpanorama, bei der ich wunderbar mitfiebern, mithoffen, mitfluchen und mich mitfreuen konnte. Vea Kaiser beschreibt ihre Figuren und Schauplätze außergewöhnlich plastisch, ich war als Leser ganz nah dran. Bei meinem nächsten Besuch beim Griechen werde ich mich mit Sicherheit an die Insel und das Buch „Makarionissi" erinnern.
© Rezension: 2016, Marcus Kufner
Makarionissi oder Die Insel der Seligen | Vea Kaiser | Verlag Kiepenheuer & Witsch
2015, gebunden, 464 Seiten, ISBN: 9783462047424
[marcus]