AUFGELESEN #15
Liebe Leserin, lieber Leser,
in der letzten Ausgabe der Kolumne
AUFGELESEN #14 haben wir einen Blick auf das Schaffen von Sebastian Fitzek geworfen. Ganz offensichtlich hat er auch einige seiner Kollegen zum lustvollen Spiel mit unzuverlässigen Erzählerinstanzen inspiriert. Sehr zum Vergnügen jener Leser, die von Fitzeks Stil nicht genug bekommen können, konfrontiert etwa Arno Strobel in DER TRAKT seine Protagonistin in nahezu kafkaesker Weise mit einer bürokratischen Maschinerie. Die Hoffnung, etwas mit Fitzeks THERAPIE Vergleichbares zu finden, hatte ich damals schon aufgegeben, bis ich einen weiteren Debütroman entdeckte, der mich endlich - endlich! - wieder in blutdruckskalasprengender Weise zum Mitraten und -fiebern anstachelte: Mein Exemplar von Wulf Dorns TRIGGER trägt deutliche Gebrauchsspuren. Wer einen Autor als ungeschickt bezichtigt, wenn dessen Erstlingswerk kaum noch übertroffen werden kann, dem sei Marc Raabe empfohlen, der mit jedem Roman reifer, besser, heimtückischer wird. Zuletzt stieß er seine Leser in HEIMWEH in das traumatische Erinnerungsloch eines Internats.
Als würde es Sebastian Fitzek in der Psychothrillerautoren-WG nun doch zu eng werden, begibt er sich auf die Suche nach einer neuen Bleibe mit neuen Mitbewohnern - er erweitert sein Repertoire:
Der Augensammler >> Sebastian Fitzek verlagert den Schwerpunkt seines inzwischen mit dem griffigen Etikett "Psychothriller" versehenen Genres vom ersten auf den zweiten Teil der Bezeichnung: weniger subtile Manipulation, mehr Hochspannung durch Zeitdruck. Ein brutaler Geisteskranker mordet, entführt und entnimmt seinen Opfern das linke Auge als Trophäe, dazu kommt ein Ultimatum, das er den traumatisierten Angehörigen stellt. Oft genug hetzt ein Autor seine Leser bewusst in hohem Tempo durch die Seiten, in der Hoffnung, dass logische Unstimmigkeiten konturlos verschwimmen. Was jedoch hier vorerst schwer nachvollziehbar ist, wird zuverlässig aufgeklärt, die bei Fitzek inzwischen obligate Wendung am Schluss ist selbstverständlich enthalten. Als kleines Detail für aufmerksame Leser, das auf formaler Ebene die Spannung unterstützt, beginnt der Roman mit dem Epilog, gefolgt vom 83. Kapitel und endet mit dem Prolog. Deutlicher kann man einen Countdown nicht inszenieren.
Abgeschnitten >> Die Zusammenarbeit mit dem Gerichtsmediziner Michael Tsokos stellt so etwas wie eine Zäsur in Fitzeks Oevre dar: Nach einer nicht vollständig überzeugenden
Fortsetzung des "Augensammlers" unter dem Titel "Der Augenjäger" scheint ihm das Augenmaß (Wortspiel beabsichtigt) für die zumutbare Menge an Blut abhanden gekommen zu sein. Und dennoch ist das Ergebnis ein Gewinn für alle Beteiligten: Der Pathologe hat einen begnadeten Erzähler gefunden, der die Erlebnisse seines Arbeitsalltags zu einer spannenden Geschichte verarbeitet, der Autor tritt den Beweis an, dass er mehrere Genres beherrscht, und der Leser ... nun, der sollte dafür gewappnet sein, dass der Schrecken diesmal nicht heimtückisch durch das Rückenmark ins Gehirn kriecht, sondern ihm ohne Umweg ins Geschichte springt.
Noah >> Nachdem offensichtlich nicht alle Fitzek-Stammleser mit der literarischen Leichenbeschau zufriedengestellt werden konnten, erfindet er sich abermals neu. Schon glaubt man, wissend lächelnd, sich mit einem Obdachlosen ohne Gedächtnis wieder auf die zweifelbesetzte Suche nach der Identität machen zu dürfen, entpuppt sich diese Figur als Zahnrad in einer weitaus größeren Maschinerie. Dazu kommt eine wütende, rachsüchtige Version des bekannten Humanisten Jean Ziegler, die in einem privaten Feldzug die Überbevölkerung eindämmen will. Vergleiche zu Dan Browns jüngstem Werk "Inferno" (das zudem im gleichen Jahr erschienen ist) müssen gezogen werden, dennoch ist der Stil des jeweiligen Autors unverkennbar. Die wahre Neuerung für Fitzek, dessen Geschichten bisher nur in einen überschaubaren Kreis von Figuren spielten, ist die nun globale Dimension. Erfrischend anders, ist dieses Werk für mich neben der "Therapie" der zweite Eckpfeiler seines Schaffens.
Der Nachtwandler >> Als wäre er von seinem eigenen Mut überrascht, sucht er mit dem Folgeband für seine Verhältnisse beinahe tapsig zurück in seine erzählerische Heimat, dem psychologischen Verwirrspiel. Ein erfolgreicher Architekt fürchtet, unter nächtlichem Schlafwandeln zu leiden und rüstet sich deshalb mit einer Spezialkamera aus, um die entstehenden Erinnerungslücken zu dokumentieren. Was folgt, ist ein Spiel aus ineinander verschachtelten Schlaf- und Wachzuständen. Wäre dies ein Debütroman, die Leser würden sich vor Lob überschlagen. Da es sich aber um Sebastian Fitzek handelt - selber schuld! - liegt die Messlatte wesentlich höher, und so wirkt der Roman wie eine bieder-brave Pflichtübung. Wäre man äußerst pedantisch, könnte man sich mit Papier und Bleistift die Struktur des Romans visualisieren, um den Autor einiger Inkonsistenzen zu überführen. Da es sich aber um besagten Fitzek handelt, haben wir gelernt, ihm zu vertrauen ... und uns einmal mehr bestens unterhalten und hinter's Licht führen zu lassen.
Die Blutschule und Das Joshua-Profil >> Im Interview mit dem
BÜCHER MAGAZIN berichtet Sebastian Fitzek wie sich sein Protagonist Max Rohde, selbst Autor, dermaßen verselbständigt hat, dass das Buch "Die Blutschule" einfach geschrieben werden musste und zwar mit dessen ganz eigenem Stil.
Aber nun bist DU an der Reihe: Wie haben DIR die beiden Bücher im Vergleich gefallen? Ist ein Unterschied zwischen den beiden Schriftsteller-Persönlichkeiten erkennbar? Wie gefallen sie euch im Vergleich zu den bisherigen Romanen von Fitzek?
Mir selbst bleibt abschließend nur mehr folgender Wunsch:
Analog zur aktuellen
Jubliäums-Edition des Droemer-Verlags wünsche ich mir dann im Jahr 2026 die Romane der nächsten zehn Jahre in einer ähnlichen Sammlung.
Freudiges Weiterlesen!
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