AUFGELESEN #14
Es ist schon einige Jahre her, da stieß ich auf der Suche nach passender Lektüre für den Urlaub auf ein kleines Taschenbuch eines bis dahin unbekannten deutschen Autors. Über dem Motiv einer sturmgebeutelten Küstenlandschaft prangte der Schriftzug "Die Therapie", das Buch selbst wirkte abgegriffen und wenig herzeigbar. Der Klappentext sprach von einem trauernden Psychotherapeuten, der sich ins Exil zurückzieht, war also nicht sonderlich aussagekräftig. Dennoch, das Buch war leicht und platzsparend, deshalb packte ich es als Reservelektüre in die Reisetasche ... nur für den Fall, daß die anderen nicht reichen würden.
Heute kann ich mich weder daran erinnern, wohin die Reise führte, noch, welche anderen Bücher im Gepäck waren. Was ich sehr wohl im Gedächtnis behalten habe, ist, daß "Die Therapie" von Sebastian Fitzek mir im doppelten Sinne den Schlaf geraubt hat. Einerseits konnte ich nicht anders, als das Buch spätnachts zu Ende zu lesen, andererseits setzte es einen gedanklichen Mechanismus in Gang, der eine Zeitlang meine kognitiven Ressourcen blockierte. Anders gesagt, die berühmte Frage nach dem Zusammenhang von Wahrnehmung und Wirklichkeit brachte mich wieder ins Grübeln. Wie zuverlässig arbeiten unsere Sinnesorgane, wie leicht sind sie manipulierbar ... und habe ich das Buch tatsächlich gelesen, oder will mich da jemand in den Wahnsinn treiben?
Nun, selbst wenn es so ist, dieser Wahnsinn ist ein süßer, und mit Sebastian Fitzek hatte ich einen Autor entdeckt, der mich nicht nur an seine Bücher fesselte, sondern mich am Hals packte, jede Gegenwehr ignorierend in die Geschichten zerrte und mich hämisch grinsend darin einsperrte.
Das Büchermagazin würdigt in seiner aktuellen Ausgabe den Autor, der inzwischen gefeiert wird wie ein Popstar, mit einem Interview. Der Anlass ist das zehnjährige Erscheinungsjubiläum seines Erstlingsbandes (ja, das war "Die Therapie"), bei seinem Verlag erscheint in diesen Tagen eine hochwertige Box mit Fitzeks bisherigen Werken. Was aber macht die Faszination dieses Autors aus? Da - wie so oft - die Antwort im Auge des Rezensenten liegt, eine persönliche Annäherung anhand ausgewählter Werke:
Die Therapie: Der "Ur-Fitzek" ist für mich immer noch der beeindruckendste. Der Inhalt ist so in sich verwickelt, dass der Klappentext ihm gar nicht gerecht werden kann. Und gerade deshalb wird eine Erwartungshaltung erzeugt, die von der tatsächlichen Geschichte atemberaubend kontrastiert wird. Die Technik des "unzuverlässigen Erzählers" ist nicht neu: Der einzige Bezugspunkt des Lesers, die Hauptfigur, erweist sich zusehends als nicht vertrauenswürdig. Ist Dr. Viktor Larenz gut oder böse? Wacht er, träumt er, oder schildert er das Geschehen bereits aus dem Jenseits? Wenn der Leser die Bereitschaft mitbringt, die Geschichte nicht von vornherein als Unsinn abzuurteilen, sondern sich darauf einzulassen, erhält er mit dem Buch nicht nur ein einfaches Ticket fürs Kopfkino, sondern mit im Paket auch gleich die passende 3D-Brille, ein Lunchpaket und eine Nackenmassage ... metaphorisch gesprochen.
Splitter: Drei Jahre nach der Premiere als Autor veröffentlichte Fitzek 2009 seinen mittlerweile fünften Roman ... der dem Erstlingswerk thematisch erstaunlich ähnelt. Auch hier kommt die Hauptfigur rasch zur Überzeugung, dass die eigene geistige Gesundheit keine fixe Größe mehr ist, auch hier wird die erzählerische Schwerkraft mehrmals um 90 Grad gedreht und das Misstrauen des Lesers freudig angeheizt. Aber kann ein Zaubertrick ein zweites Mal funktionieren, wenn man nach der "Therapie" bereits weiß, wie dieser funktioniert? Sebastian Fitzek ist jener Bühnenmagier, der dieses Kunststück zustande bringt ... und der dem Leser hinterher ein weiters Mal erklärt, warum er sich ein schon wieder dem Nervenkitzel des Identitätsbezweifelns ausgesetzt hat ... und es wieder tun wird ... und wieder.
Ganz offensichtlich hat Fitzek mit dem roten Faden, der hier in seinen Romanen erkennbar ist, den Nerv einer Zeit getroffen, die von einer Übefülle an Information, von einer Omnipräsenz des Weltwissens geprägt ist.
Das unmittelbar zugängliche Universum ist explosionsartig gewachsen, das Individuum fühlt sich kleiner und unbedeutender als je zuvor. Kein Wunder also, daß das Bedürfnis, sich selbst zu erkennen, zu definieren, seinen fixen Platz mit all den damit verbundenen Aufgaben, immer ausgeprägter wird. Insofern stellen die Romane Fitzeks so etwas wie moderne Märchen dar, auf deren schablonenhafte Identifkationsfiguren wir unsere eigenen Probleme projizieren können. Die Botschaft dabei ist altbewährt und allgemeingültig: Ob böser Wolf oder der drohende Verlust der Individualität, selbst unter widrigsten Umständen steht am Ende ein "Alles ist gut."
>> FORTSETZUNG FOLGT
So, liebe Leserin, lieber Leser, ist Dir Sebastian Fitzek schon bekannt? Welche Romane hast Du von ihm schon gelesen, und welche haben Dir besonders gut gefallen?
Freudiges Weiterlesen!