Aufgelesen #11
Als das
Leiwandste, wos ma si nur vurstell'n kann bezeichnete
Wolfgang Ambros, seines Zeichens Urgestein der österreichischen Popmusik, jene Art der Fortbewegung, die derzeit wieder mit Genuss und Hingabe im alpinen Gelände zelebriert wird.
Liebe Leserin, lieber Leser, sind Dir jene erhabenen Momente vertraut, wenn man in der Gondel sitzend die Nebelglocke, die über dem Tal hängt durchstößt und unter sich ausgebreitet das Wolkenmeer erblickt, aus dem die Berge wie Inseln hervorragen. Mit den Brettern unter den Füßen den frischen Pulverschnee zu durchpflügen, die eisige Luft im Gesicht, die den Atem raubt und die Vorfreude auf ein wärmendes Getränk in der Hütte schürt ...
Wenn Dir diese Gefühle vertraut sind, Du bei der zititerten Ambros-Textzeile innerlich mitzusummen begonnen hast, ...
... dann solltest Du die Lektüre an dieser Stelle beenden und den nächstgelegenen für den Schisport erschlossenen Berg aufsuchen.
Solltest Du aber zu jenen gehören, die das sommerliche Grün der Berge bevorzugen oder sie respektvoll von unten betrachten, so lege ich Dir dennoch eine gefahrlose und frostfreie Beschäftigung mit dem winterlichen Hochgeschwindigkeitsvergnügen ans Herz. Unternehmen wir also einen gedanklichen Ausflug in die Berge, und lassen wir uns dabei von jenen Autoren im Gelände unterweisen, die aufgrund ihrer Herkunft eine natürliche Affinität zu diesen hegen.
Im Jahr 2011 fungierte Garmisch-Partenkirchen als Austragungsort der Alpinen Weltmeisterschaften, und genau dort spielen die Romane von Nicola Förg. Wie bereits der Titel *
Tod auf der Piste erahnen lässt, droht die Gefahr im Gebirge nicht ausschließlich durch die rasch ändernde Witterung. Zumindest nicht im konkreten Fall, wo auf der Kandahar-Piste ein altmodisch gekleideter Athlet erschossen aufgefunden wird. Die rustikal-charmante Kommissarin Irmi Mangold gerät im Zuge ihrer Ermittlungen in das bekannte Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichen Interessen und jenen des Naturschutzes ... ein Diskurs, der gerade im Lichte der kürzlich beendeten Pariser Klimakonferenz zum Nachdenken anregen sollte.
Im Jahr 2013 durfte schließlich das steirische Schladming (mein Heimatort) als Gastgeber dieses Großereignisses den zahlreichen Schlachtenbummlern zwei Wochen ausgelassener Partystimmung und spannender Momente präsentieren. Zu dieser Zeit verlor die Stadt am Fuße des Dachsteins ihre belletristisch-kriminelle Unschuld und wurde zum Schauplatz eines erdachten Mordes. Keine geringe als die inzwischen über die Grenzen hinaus bekannte Claudia Rossbacher läßt ihr Ermittlerduo Sandra Mohr und Sascha Bergmann in *
Steirerkind den Mord an einem Trainer der österreichischen Mannschaft aufklären. Auch, wenn das Werk nicht mehr ganz aktuell ist, so läßt es doch Erinnerungen an das denkwürdige Großereignis wiederaufleben. Anders als Förg rückt Rossbacher nicht politisch-ökologische Aspekte in den Vordergrund, sondern chauffiert ihre Lesern im Auto durch einen Schneesturm, läßt ihn in die euphorietrunkene Stimmung im Zielstadion eintauchen und wirft einige Seitenblicke auf den Profisport.
Bleiben wir in diesem Metier. Am vergangenen Wochenende fanden in Kitzbühel wieder die bekannten Hahnenkammrennen statt, bei denen die öffentliche Aufmerksamkeit nicht nur den Pisten, sondern auch Parties und Prominenten zuteil wird. In Michael Gerwiens *
Alpengrollen reist sein pensionierter Protagonist mit Polizei-erfahrung, Max Raintaler, aber in erster Linie aus München an, um Zeuge zu werden, wie sich die Athleten in Todesverachtung die berüchtigte Streif-Abfahrt zu Tale stürzen. (Das Ausmaß des Risikos erwies sich am Samstag leider auf erschreckende Weise.) Jedoch muß er sich auf die Tugenden seines Berufes besinnen, als die Tochter einer Bekannten entführt und schließlich eine Russin ermordet aufgefunden wird. Wenn auch der Münchener Autor die Aufmerksamkeit seiner Leser mit einem Verbrechen erregen will, so besticht der Roman doch vorwiegend durch die kleinen, entscheidenden kulturellen Unterschiede zwischen den beiden Seiten der Staatsgrenze, die in den Sticheleien zwischen Raintaler und seinem Kitzbüheler Kollegen Alois zutage treten.
Als weitaus bewegungsfreudiger erweist sich wieder Thien-Hung Baumgartner in *
Kreuzzug, heimliche Lieblingsfigur der Leser von Marc Ritter. Der urbayerische Fotojournalist mit vietnamesischen Wurzeln sucht für eine Reportage auf der Zugspitze nach der perfekten Winteridylle, als Terroristen den Tunnel der Seilbahn sprengen und somit die Touristen in Geiselhaft nehmen. Traurig aktuell erweist sich dieser bereits 2012 entstandene Thriller, lauert zwischen den Zeilen doch die Frage, ob die Gefahren der Berge ausschließlich natürlichen Ursprungs sind. Natürlich endet er - so viel darf verraten werden - mit einem Happy End, doch ist dieses zu einem guten Teil der meisterhaften Beherrschung Baumgartners der Bretter an den Beinen auch in steilen Tiefschneelagen zu verdanken. Nicht nur die Verbrecher, auch die Leser Marc Ritters sollten sich warm anziehen, denn von den vorgestellten Titeln weht aus diesem der eisigste Wind entgegen. Wenn unter den Füßen der Schnee knirscht, in der Entfernung die Gipfel scharfkantig das Firmament aufzuspießen scheinen und selbst die dicksten Fäustlinge nicht mehr ausreichend schützen, beginnt man auch beim Lesen unfreiwillig mit den Zähnen zu klappern.
Geschätzte Schifahrer aktiver und passiver Art, sollte nach diesen Zeilen der Ruf der Berge leise zu vernehmen sein, so genieße es, Deinen Spuren ins winterliche Weiß zu zaubern. Ansonsten schließen wir frei nach dem anfangs zitierten Wolfgang Ambros: Lesen ist auch leiwand.
Freudiges Weiterlesen!
© Wolfgang Brandner
Bibliographien:
Nicola Förg: Tod auf der Piste | Piper Verlag 2013, ISBN: 978-3-492-30317-0
Claudia Rossbacher: Steirerkind | Gmeiner 2013, ISBN: 978-3-8392-1396-4
Michael Gerwien: Alpengrollen | Gmeiner 2011, ISBN: 978-3-8392-1111-3
Marc Ritter: Kreuzzug | Droemer 2014, ISBN: 978-3-426-51165-7
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Labels: Aufgelesen, Kolumne by Wolfgang