Der Zeitdruck: extrem. Jedem der Agenten standen exakt 30
Minuten zur Verfügung, die mittels einer unbestechlichen Sanduhr überwacht
wurden.
Gut, ganz so geheim konnte die Arbeit doch nicht abgewickelt werden, immerhin
war der Lesesaal bis auf den letzten Platz gefüllt, und auch die Sanduhr
erwies sich zur Freude des Publikums als toleranter als angekündigt. Durch
die Veranstaltung führten Karin Buttenhauser vom ORF Salzburg, das
moderierend-schreibende Multitalent Manfred Baumann und
Tomas Friedmann, Leiter des Literaturhauses. Letzterer verstand es, die Spannung
der Zuhörer noch auf die Spitze zu treiben, indem er richtige Antworten
auf Quizfragen mit Mozartkugeln und Büchern belohnte. Somit erwies er sich
als der Mann mit der goldenen Kugel.
(Persönliche Anmerkung: Obwohl das Festival drei Tage dauerte, war es mir
leider nur möglich, an zwei von ihnen teilzunehmen.)
Doch werfen wir einen Blick auf die Agenten...
Name: Raab. Thomas Raab.
aktueller Auftrag: Codename "
Still. Chronik eines Mörders"*
Erscheinung: raffiniert-charmant-schlitzohrig, mit besonderem sprachlichem
Gefühl für emotionale Nuancen
Einsatzbericht:
Der Autor erzählt von einem Urlaubserlebnis, das ihn zu seinem aktuellen Roman
inspirierte. Beim Spaziergang am Strand begegnete er regelmäßig zwei
Männern, der eine alt, der andere jung, die sich nonverbal und doch vielsagend
miteinander zu verständigen schienen. Gemeinsam mit seiner Frau ersann er
Geschichten, die um die Frage kreisten, wie sich ein
Leben ganz ohne Worte gestalten könne. Wie schlimm wäre es gar, würden Kinder
nicht sprechen? Dann hätte der Autor wohl nie über seine achtjährige
Tochter staunen können, die ihm die existentielle Frage stellte: "Wer
hat eigentlich den lieben Gott auf die Welt gebracht?" Als der
schreibende Vater zunächst verlegen reagierte, präsentierte sie gleich
eine Antwort, deren Einfachheit Jahrhunderte der Philosophie in den
Schatten stellt: "Die liebe Göttin."
Name: Beck. Zoe Beck.
aktueller Auftrag: Codename "
Schwarzblende"*
Erscheinung: Bescheiden, beinahe unscheinbar lässt die Autorin das brisante
Thema ihres Romans, islamischen Extremismus, für sich sprechen
Einsatzbericht:
"Politthriller", so die Autorin, klingt für Verlage zu langweilig.
Ein "Krimi" funktioniert nach dem Schema
Leiche-Polizei-Aufklärung, und am Ende sind alle glücklich, und in einem
"Thriller" sorgt stets ein kranker Serienkiller für viel
Blutvergießen. Da Beck sich mit keiner dieser Zuordnungen anfreunden
konnte, wurde ihrem aktuellen Werk das schlichte Etikett "Roman"
verpasst. Die Handlung - die öffentliche Enthauptung eines britischen
Soldaten in London - basiert auf einer tatsächlichen Begebenheit, den Reiz
liegt nicht in der Frage nach der Identität des Mörders, sondern nach
dessen Motiven. Nicht das kleinste Raunen ist im Publikum zu vernehmen, als die
Autorin von ihren Recherchen unter anderem in einem Jugendgefängnis
berichtet, wo sie auf unterschiedliche Abstufungen im Grad der
Radikalisierung stieß und die Antwort auf eine konkrete Frage zu ergründen
suchte: Wie gehen Muslime selbst mit diesem Thema um, was haben sie
radikalen Strömungen entgegenzusetzen, auf welche Art der Überzeugung
sprechen sie an?
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ZUR REZENSION

Name: Kruse. Tatjana Kruse.
aktueller Auftrag: Codename "
Bei Zugabe Mord"*
Erscheinung: die Personifizierung schwäbisch-schwarzen Humors
Einsatzbericht:
Was für ein Kontrast zu Zoe Beck! Nach erschütternd aktuellem Zeitgeschehen
in London holt Kruse - die im Hotel unter dem Decknamen Tanja Krause
angekündigt war - das Publikum wieder nach Salzburg zurück, wo ein Tenor,
die "Blondine unter den Opernsängern" ermordet wird. Aufgrund
der Positionierung im Programm fühlt sie sich auch als "John Cleese
zwischen Beck und Aichner". Die Lesung nach 21:00 Uhr passt insofern,
als der Inhalt nicht gänzlich jugendfrei ist. Immerhin handelt es sich
dabei um "Liebeskummerbewältigung durch dreieinhalb Morde." Mit tänzerischer
Leichtigkeit werden dabei immer wieder die Momente unmittelbar vor der
amourösen Depression illustriert, was schließlich zu folgendem Resümee
führt: "Wer viel Sex hat, ist noch lange nicht gut darin."
Name: Aichner. Bernhard Aichner
aktueller Auftrag: Codename "
Totenhaus"*
Erscheinung: "I bin a Bodenständiger, Liaber"
(Eigencharakterisierung)
Einsatzbericht:
Standesgemäß dringt zum Auftritt des Autors "Eye of the Tiger" aus
den Lautsprechern. Wenn er behauptet, vom Erfolg des ersten Teils seiner Blum-Trilogie,
"Totenfrau", überwältigt zu sein, so besteht aufgrund des gänzlich
allürenfreien Auftretens keinerlei Zweifel daran. Segelboot konnte er sich
von seinen Tantiemen noch keines leisten, dafür steht öfter als noch vor
einigen Jahren Rohschinken auf dem Speiseplan. Beim titelgebenden
"Totenhaus" des aktuellen Romans handelt es sich um ein Hotel,
in dem Menschen unter rätselhaften Umständen ihr Leben lassen. Damit, so
Aichner, arbeitet er ein Trauma auf, das in seiner Kindheit durch Stephen
Kings "Shining" verursacht wurde. Ein wesentliches Detail wird
außerdem verraten: Die Hauptfigur, Bestatterin Brünhilde Blum, wird diesen
Teil überleben, damit dann im dritten Teil "Vollgas" gegeben werden
kann.
Name: Koch. Manfred Koch.
aktueller Auftrag: Codename "
Totgelacht"*
Erscheinung: intellektuell, professorenhaft, verbreitet knochentrockenen,
raffinierten Humor
Einsatzbericht:
Der Autor gibt sich als scharfzüngiger Kritiker der aktuell großen Menge an
Regionalkrimis zu erkennen. Würden tatsächlich in jedem Dorf so viele Morde
verübt werden, wie das Angebot der Verlage vermuten lässt, würde Österreich
bald sehr viel mehr Platz bieten. Ähnliche Skepsis bringt er auch
gegenüber skandinavischen Schandtaten in einem Essay, der sich wie der
Werbetext eines großen schwedischen Möbelhauses liest, zum Ausdruck.
Dabei wirkt die schneidende Stimme, die keinen Rückschluss auf etwaige Emotionen
zulässt, wie ein soziologisches Skalpell. Die Texte sind hochkonzentriertes
Sprachdestillat, mit dem er etwa die Essenz nordischer Krimis erfasst:
"(...) Mitternachtssonne, Fjorden, Schären,
einsamen männlichen Leichen neben noch einsameren weiblichen Leichen in komplett
einsamen Bockhütten an tausend geradezu unglaublich einsamen Seen, von
endlosen Wäldern, unglücklich verliebten Elchen, protestantischem
Kabeljau, emotional unterkühlten Eisbergen, Knäckebrot und Schwedenbitter,
(...)"
Für jene Zuhörer, deren körperliches Befinden sich noch nicht an den Titel
von Manfred Kochs Roman angeglichen hatte, standen die Autoren noch für
persönliche Plaudereien in gemütlicher Atmosphäre zur Verfügung.
Liebe Leserin, lieber Leser, der zweite Teil meines Berichts folgt am 24.
November, bis dahin