[Klappentext] Die Bewohner Port Reubens leben in scheinbarer Harmonie, sie hören nur noch Schnulzen und lesen kitschige Liebesromane, und nach dem schrecklichen Ereignis, über das nur als »Was geschah, falls es geschah« gesprochen wird, bekamen alle neue Namen. Kevern Cohen misstraut als Einziger dieser »großen Familie« und ihrer freiwilligen Ahnungs- und Meinungslosigkeit. Er ist ein Eigenbrötler, der die Bücher und Jazzplatten seines Vaters aufbewahrt hat und allein in einer Hütte auf den Felsen wohnt. Eines Tages wird ihm Ailinn Solomons vorgestellt, eine schwarzhaarige Schönheit, und die beiden fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Doch Keverns Unbehagen wächst: Ist ihre Liebe wirklich nur aus ihren spontanen Gefühlen genährt, oder haben andere Interesse an ihrer Beziehung? Ist er nur paranoid, oder werden sie tatsächlich überwacht und sind Teil eines allumfassenden, perfekt ausgeklügelten Plans?
[© Text und Bild: DVA Verlag]
[mk] Kevern und Ailinn treffen sich in einer postapokalyptischen Welt. Hier ist aber nicht alles nur noch Wüste wie in Mad Max, es hat sich nur die Gesellschaft komplett verändert. Nach den Ereignissen, über die keiner spricht, keiner sprechen darf, wurden Regeln erlassen, die eine Wiederholung verhindern sollen. Um die „Altlasten" auszumerzen gibt es beispielsweise keine öffentlichen Bibliotheken mehr und der persönliche Besitz aus der Zeit davor wird sehr beschränkt. Alles was nach Archivieren aussieht ist untersagt. Unter der ruhigen Oberfläche spüre ich aber eine latente Spannung. Kann die vorgeschriebene Harmonie wirklich funktionieren?
Klar dass ich mir gleich die Frage stelle, was denn da konkret passiert ist. Was für Ereignisse waren das, die eine solche Umwälzung verursacht haben? Das bringt Spannung in das Buch und macht mich auch neugierig, wie sich das Leben damit verändert.
Die tragenden Elemente des Buchs sind Kevern und Ailinn. In gewissem Sinne ist es auch eine Liebesgeschichte, die pessimistische Grundstimmung lässt aber nicht viel Romantik aufkommen. Howard Jacobson zeichnet seine Charaktere sehr komplex. Sie sind alles andere als geradlinig, sie machen eher einen ziemlich kaputten Eindruck, aber ihre Ecken und Kanten machen sie interessant. Von Anfang an haben sie das Gefühl, dass ihr Kennenlernen gesteuert wurde. Doch wer sollte das wollen, und vor allem warum? Das werde ich hier natürlich nicht vorwegnehmen. Es ist den beiden zunächst auch nicht wichtig, sie fühlen sich sofort voneinander angezogen. Aber auch diese Frage zieht sich wie der berühmte rote Faden durch das Buch.
„J" ist ein Buch, das meine volle Aufmerksamkeit verlangt. Vieles bleibt unausgesprochen und muss zwischen den Zeilen gelesen werden. Für Leser, die sich gern eigene Gedanken machen, ist das optimal, es wird nicht alles vorgekaut. Zwischendurch hätte ich mir aber gewünscht, dass sich die Geschichte etwas zügiger entwickeln würde, dass sich der Nebel schneller lichten würde. Da hat das Buch für mich einige Längen. Sprachlich finde ich das Buch ausgezeichnet. Man merkt, dass der
Booker-Preisträger einer ist, der mit Worten umgehen kann. Auch die Idee, das Buch mit Tagebuchpassagen und Briefen aufzulockern, funktioniert gut.
Persönliches Fazit
Eine gesellschaftliche Reflexion, die zum Nachdenken anregt. Die pessimistische Grundstimmung fand ich sehr glaubwürdig. Ich hatte allerdings zwischendurch mit ein paar Längen zu kämpfen. Die Sprache hat mich aber begeistert. Ein Buch, das Aufmerksamkeit erfordert, nichts Leichtes für zwischendurch.
© Rezension: 2015, Marcus Kufner
J | Howard Jacobson | DVA
Aus dem Englischen von Friedhelm Rathjen
12. Oktober 2015, Gebunden, 416 Seiten, ISBN: 9783421046888