Es ist ein schmaler Grat zwischen Gut und Böse, zwischen Normalität und Wahnsinn …
In der Hamburger Universitätspsychiatrie wird eine Patientin erhängt aufgefunden. Die zuständige Therapeutin Tessa Ravens kann nicht glauben, dass es sich um Selbstmord handelt. Als eine weitere Patientin brutal ermordet wird, scheint sich ihre Befürchtung zu bestätigen. Und auch Hauptkommissar Torben Koster merkt schnell, dass er hier mit gewöhnlichen Ermittlungsmethoden nicht weit kommt. An Verdächtigen mangelt es nicht, doch welchen Aussagen kann man wirklich trauen und was davon ist paranoide Wahnvorstellung? Er ist auf Tessas Unterstützung angewiesen, doch die Suche nach dem Mörder wird für beide zur Zerreißprobe ...(© Text und Cover: btb Verlag)
In einer psychiatrischen Anstalt wird eine Patientin erhängt aufgefunden. Während für Torben Koster, den Ermittler alles auf einen Selbstmord hindeutet, glaubt die behandelnde Ärztin Tessa Ravens nicht an diese Erklärung: Sie sieht ihre Patientin in den Suizid getrieben. Ihr Verdacht erhärtet sich, als eine zweite Frau aufgefunden wird, bei deren Todesursache kein Zweifel am Fremdverschulden besteht. Langsam setzt sich das polizeiliche Räderwerk in Bewegung, Torben und Tessa sind auf die Fähigkeiten des jeweils anderen angewiesen, um den Mörder zu finden. Dabei sehen sie sich mit einer Reihe origineller Persönlichkeiten konfrontiert, die einerseits zum Kreis der Verdächtigen zählen, deren Verhalten andererseits durch die individuellen Ausprägungen ihrer Krankheiten geprägt ist.
Die Handlung des Romans spielt sich an zehn Tagen ab, in ebenso viele - und entsprechend betitelte - Kapitel ist er auch gegliedert. Erzählt wird in auktorialer Perspektive, abwechselnd Tessa Ravens und Torben Koster begleitend. Der überwiegende Anteil der Aufmerksamkeit gilt dabei der weiblichen Protagonistin, die anhand zahlreicher innerer Monologe so detailliert gestaltet wird, daß andere Figuren neben ihr eher bleich wirken. Die Vermutung, daß sehr viel an Gefühlen und Erfahrungen der Autorin eingeflossen ist, liegt nahe. Laut Angaben des Verlags absolvierte Angelique Mundt das Studium der Psychologie und ist als selbständige Psychotherapeutin tätig. Wie auch ihre Hauptfigur weist sie Erfahrungen in einem psychologischen Kriseninterventionsteam auf, das bei der Bewältigung traumatischer Erlebnisse unterstützt
Anhand dieses Werdegangs ist es nicht verwunderlich, daß die Schilderung menschlicher Interaktionen mit besonderer Akribie erfolgt. Daß beispielsweise die Überbringung einer Todesnachricht auch für die Exekutivbeamten ein furchtbares Erlebnis ist, zeigt ein Fall zu dem Tessa als Mitglied des Kriseninterventionsteams gerufen wird:
"Drinnen würgten die Polizisten an den Worten. Schnell, ohne Umschweife, mußten sie auf den Punkt kommen. Sonst kam Hoffnung auf. Und Hoffnung gab es nicht mehr."
Ihr Sensorium für nonverbale Kommunikation beweist die Autorin etwa beim Verhör eines Patienten der Klinik: "Wieder fing Koster einen Blick des Patienten in Richtunger Therapeutin auf. Die belohnte ihn mit einem kurzen Lächeln. Es war nur ein Moment, dennoch glaubte er, ein unsichtbares Band zwischen den beiden zu spüren."
Auch der Pflegepraktikant, dessen aufgesetzte Kaltschnäuzigkeit im Verhör der Polizei stückweise zerbröckelt oder eine Versammlung der Patienten, die aufgrund der unterschiedlichen aufeinandertreffendern Charaktere eskaliert, zeigen, daß hier eine Seelenchirurgin am Werk ist, die ihren entlarvenden Blick als ein Präzisionsinstrument verwendet.
Die größte Stärke des Romans - die detaillierte Wiedergabe menschlicher Interaktionen - erweist sich allerdings auch als seine Schwäche: Da nämlich der Entwurf und die Ausgestaltung von Persönlichkeiten, wie sie in einer psychiatrischen Abteilung anzutreffen sind, viel an Erzählzeit beansprucht (und diese auch zugewiesen erhält) verbleiben weniger narrative Ressourcen für eines der wichtigsten Elemente eines Krimis, nämlich Aufbau und Erhalt von Spannung. Anhand der Kapitelüberschriften nimmt der Leser zwar die verstreichende Zeit wahr, in der Handlung selbst scheint diese jedoch kaum eine Rolle zu spielen. Weder steht die implizite Drohung eines weiteren Mordes im Raum, noch werden den Protagonisten Fristen gesetzt, deren Überschreitung geahndet würden. Die Anzahl der Verdächtigen ist überschaubar, die Abteilung der Klinik ein in sich abgeschlossenes Biotop, die beiden Hauptfiguren wirken trotz einiger Pannen im großen und ganzen souverän in ihrem Agieren. Daß der Fall geklärt wird, steht somit außer Zweifel, ob dies nun einen Tag früher oder später geschieht, scheint nicht von Relevanz zu sein.
Sie bedarf einer starken Schulter zum Anlehnen. Er durchlebt gerade Unstimmigkeiten in seiner Ehe. Resultat ist eine kurze Affäre zwischen Tessa Ravens und Torben Koster, deren Motive zwar erkennbar aber nur skizzenhaft ausgearbeitet sind. Somit entsteht der Eindruck, die Autorin habe sich - aus welchen Gründen immer - verpflichtet gefühlt, das Berufsleben ihrer Protagonisten noch durch ein amouröses Intermezzo zu ergänzen. Da sich dieses nicht notwenigerweise aus der Handlung ergibt, wirkt dieser Aspekt unpassend und aufgesetzt.
Obwohl die Ausgangssituation - Mord in der Psychiatrie - auf eine unheimliche Jagd durch die Irrgärten der menschlichen Seele schließen läßt, wie sie etwa Wulf Dorn in seinem ähnlich gelagerten "Trigger" veranstaltet, handelt es sich eher um eine Verhaltensstudie interessanter Persönlichkeiten, die mit einer Ausnahmesituation konfrontiert werden. Die Erzählkraft der Autorin, unterstützt durch feines Gespür für zwischenmenschliche Nuancen vermitteln außerdem ein hohes Maß an Authentizität.
© Rezension, 2015 Wolfgang Brandner
Nacht ohne Angst - Angelique Mundt - btb Verlag
Taschenbuch, Broschur, 320 Seiten
ISBN: 978-3-442-74626-2
Erscheinungsdatum: 10. Juni 2013
[wolfgang]
Labels: Beitrag von Wolfgang, Krimi, Rezension