Rezension || Die Falle | Melanie Raabe

Sie stellt ihm eine Falle. Aber ist er wirklich ein Mörder?

Die bekannte Romanautorin Linda Conrads, 38, ist ihren Fans und der Presse ein Rätsel. Seit gut elf Jahren hat sie keinen Fuß mehr über die Schwelle ihrer Villa am Starnberger See gesetzt. Trotz ihrer Probleme ist Linda höchst erfolgreich. Dass sie darüber hinaus eine schreckliche Erinnerung aus der Vergangenheit quält, wissen nur wenige. Vor vielen Jahren hat Linda ihre jüngere Schwester Anna in einem Blutbad vorgefunden - und den Mörder flüchten sehen. Das Gesicht des Mörders verfolgt sie bis in ihre Träume. Deshalb ist es ein ungeheurer Schock für sie, als sie genau dieses Gesicht eines Tages über ihren Fernseher flimmern sieht. Grund genug für Linda, einen perfiden Plan zu schmieden - sie wird den vermeintlichen Mörder in eine Falle locken. Doch was ist damals in der Tatnacht tatsächlich passiert? (© Text und Bild: btb Verlag)


"Woher weiß man, daß man verrückt ist?" 

Stereotype Figuren ohne sonderlich viel Tiefgang, eine vorhersehbare Handlung nach dem bewährten Sex-and-Crime-Schema, das ganze vereint unter einem austauschbaren, reißerischen Titel, das bietet "Blutsschwester", der neue Roman der deutschen Bestsellerautorin Linda Conrads. Nachdem ihre bisherigen Werke von fein gezeichneten Persönlichkeiten getragen wurden, verwundert ihr Ausflug in das Genre der beliebigen Fließband-Thriller, wie sie zuhauf nicht nur in Buchhandlungen zu finden sind, umso mehr. Gerade die Auffälligkeit dieses Stilbruchs macht den Titel so geeignet, um als Köder für jene Falle zu fungieren, in die der Mörder ihrer Schwester gelockt werden soll.

Tatsächlich gelingt es der Autorin Melanie Raabe, in ihren Roman "Die Falle" einen zweiten Roman - nämlich das erwähnte "Blutsschwester" - zu verschachteln, dessen Handlung sich mit der Rahmenhandlung um Linda Conrads und Victor Lenzen abwechselt, diese immer wieder spiegelt. Mit Sophie, der Protagonistin aus "Blutsschwester", erschafft Linda Conrads sich ein Alter Ego, auf das sie jenes Leben projizieren kann, das sie seit der Ermordung ihrer Schwester nicht zu führen in der Lage war. In einer Situation irgendwo zwischen kultivierter Exzentrik und tatsächlicher psychischer Erkrankung schottet sie sich in ihrem Haus von der Außenwelt ab. Lediglich ihr Laptop und das Fenster in den Garten dienen ihr als selektive Filter, die das Drinnen vom Draußen trennen. Als sie nach fast zwölf Jahren des Eremitentums in dem Nachrichtenmoderator Victor Lenzen den Mörder ihrer Schwester zu erkennen glaubt, gewinnt ihr Alltag an Farbe. Die Eintönigkeit weicht einem konkreten Ziel, auf das sie sich besessen vorbereitet. Wie sehr kann man also der Wahrnehmung einer solchen Protagonistin vertrauen, deren Sozialverhalten verkümmert und deren Überzeugung von der Schuld Lenzens beinahe fanatisch ist?

In einem packenden Psychoduell läßt Melanie Raabe zwei starke Persönlichkeiten aufeinanderprallen und beweist, daß Hochspannung auch theaterbühnentauglich serviert werden kann. Durch die Wiedergabe in erster Person aus der Sicht Linda Conrads keimt auch im Leser die subtil ausgebrachte Saat des Zweifels an der Zuverlässigkeit ihrer Eindrücke und Schlußfolgerungen. Ist Lenzen tatsächlich jener Täter, der sie in ihre langjährige Einsamkeit getrieben hat? Ist der flüchtige Eindruck von damals tatsächlich zu seiner Identifikation geeignet? Oder hat sie gemeinsam mit ihrer Schwester auch ihren Verstand verloren? Immer wieder stoßen Leser und Hauptfigur an Wendepunkte, an denen der Roman eigentlich beendet sein könnte, an denen der Blickwinkel jedoch so geschickt verändert wird, daß ein bereits gelöst geglaubtes Rätsel neue Kopfzerbrechen bereitet.

Daher wirken auch die immer wieder eingeschobenen Fragmente des Romans "Blutsschwester" zunehmend irritierend. Der Roman im Roman scheint zunächst eine originelle Idee, um Linda Conrads als Projektionsfläche ihrer Sehnsüchte zu dienen, im weiteren Verlauf divergieren jedoch die beiden Teile immer mehr. Während "Blutsschwester" als eine bloße Spiegelung nichts signifikant Neues für den Leser bietet, etabliert sich das Kräftemessen zwischen Linda Conrads und Victor Lenzen als treibende Kraft des Romans. Melanie Raabe gerät also in den Verdacht, mit der Spannung auch die Seitenanzahl ihres Romans auf durchschaubare Weise zu steigern.

Sprachlich versiert und sicher im Umgang mit Stilmitteln und Metaphern, darf man Raabe allerdings zugestehen, daß sie sich der Wirkung ihres Textes sehr wohl bewußt ist. Möglicherweise sind daher die Unterbrechungen der Haupthandlung durch "eine als Thriller verkleidete Liebesgeschichte" (wie Linda Conrads' Verleger es ausdrückt) ganz bewußt gesetzt, um im Leser eine Abneigung gegen diese Art von Lektüre zu erzeugen. "Blutsschwester" kann somit auch als harte Parodie auf Fließbandthriller um blutlüsterne Mörder, wehrlose Opfer und virile Kommissare verstanden werden. Zusätzlich gewinnt die Geschichte um Linda Conrads im Kontrast zu der fiktionalen Ebene des Romans im Roman an Authentizität, sie erscheint somit wirklicher, glaubwürdiger. Bereits in der Psychoanalyse wurde analog dazu der Traum im Traum als Werkzeug des menschlichen Unterbewußtseins erkannt.

Weiters nutzt Melanie Raabe auch immer wieder die Form ihres Romans, um den Inhalt zu stützen. Mit stakkatoartigen Sätzen, die auf den Leser einprasseln, erfüllt Linda die obligate - ihr jedoch sichtlich unangenehme - Aufgabe, ihre Familienverhältnisse zu definieren. Als eine zähflüssige verbale Masse mit vielen Relativsätzen und wenig Satzenden wälzt sich die Erinnerung an die Mordnacht durch ihr Bewußtsein. Und wenn im gegenseitigen Verhör der Autorin und des Journalisten Fragen und Antworten in rascher Abfolge wechseln, werden alle Begleitumstände ausgeblendet, verengt sich die Wahrnehmung auf verbale Attacken und Paraden.

Die Falle ist ein brillantes Verwirrspiel, das man manch weniger wendigem Autor dringend als Referenz empfehlen möchte. Stilistisch ausgefeilt erzählt die Autorin die Geschichte eines Racheplans, der das moderne Repertoire narrativer Archetypen wohl um einen essentiellen Eintrag bereichern dürfte.

© Rezension, 2015 Wolfgang Brandner


Melanie Raabe - Die Falle - btb Verlag

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 352 Seiten
ISBN: 978-3-442-75491-5

[wolfgang]

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