April ist fort.
Seit Wochen kämpft sie in einer Klinik gegen ihre Magersucht an. Und seit
Wochen antwortet sie nicht auf die Briefe, die ihre Schwester Phoebe ihr
schreibt. Wann wird April endlich wieder nach Hause kommen? Warum antwortet sie
ihr nicht? Phoebe hat tausend Fragen. Doch ihre Eltern schweigen hilflos und
geben Phoebe keine Möglichkeit, zu begreifen, was ihrer Schwester fehlt. Aber
sie versteht, wie unendlich traurig April ist. Und so schreibt sie ihr Briefe.
Wort für Wort in die Stille hinein, die April hinterlassen hat. (© Text und
Bild: Fischer Verlage)
Ein
Briefaustausch zwischen Schwestern. Der erste Satz:
"Liebe April, du bist
jetzt schon fast eine Woche weg, und ohne dich ist es schrecklich langweilig
hier."
Aus einer Woche
werden mehrere Wochen, dann Monate, eine hinterlassene Jahreszeit und immer
wieder schreibt Phoebe von Zuhause Briefe an ihre Schwester April, da sie Besuchsverbot in der Klinik hat. Die Zeit geht voran und April antwortet nicht.
Erst später. Aus Phoebes Briefen ist der ganze Schmerz des Verlustes zu spüren,
selbst die Verzweiflung der Eltern. Alles in wundervolle Worte gefasst.
Perfekte Zeilen und gleichzeitig so melancholisch, schonungslos. Eine
psychische Störung in ihrer ganzen Bitterkeit beschrieben. Als April auch Briefe
schreibt, bewegt es so sehr, dass ich anhalten muss. Jede aufgeschriebenen
Wahrheit hat meist als Nachklang Gedanken. Es ist gut, dass die Autorin Lilly
Lindner über das Thema Magersucht und die Psyche so offen schreibt. Oft ist
diese Thematik ein Tabuthema. Es ist unbequem und oft wird vorschnell
verurteilt. Sätze wie, die wollen ja nur abnehmen, sie sollen essen und dann
ist gut kommen häufig aus zu wenig Wissen hervor. Dieses Unverständnis hat auch
Aprils Mutter.
" …deine kleine Schwester sitzt stundenlang in ihrem Zimmer und schreibt Briefe! Die ganze Welt dreht sich nur noch um dich, April! Reicht dir das immer noch nicht aus? Es gibt wohl keinen besseren Grund, um wieder gesund zu werden als das Leben!" ~ Zitat S.324
Dies ist ein
weiterer Moment, in dem ich das Buch kurz aus der Hand lege. Vielleicht gibt es
wirklich immer noch zu wenig Verständnis für seelische Probleme, die sich dann
auch körperlich zeigen. In dem Buch wird das gesamte Bild einer schweren
seelischen Erkrankung gezeigt. Auch das Thema Selbstverletzung wird
angesprochen. Gefühle sind schwer zu verstehen, und wenn sie echten Schmerz mit
sich tragen, sind sie sicher für viele Menschen noch unverständlicher. Wenn die
Seele so sehr schreit, dass der Boden verschwindet und Unsichtbarkeit, wie eine
Lösung erscheint oder ein großen Hilfeschrei zu zeigen, braucht es Verständnis
und keine Vorwürfe aus der Familie oder dem Freundeskreis. Auch dies wird an
vielen Stellen in " Was fehlt, wenn ich verschwunden bin"
deutlich.
Unzählige so
gefühlvolle Briefe lese ich von den beiden Geschwistern. Fühle mit beiden mit
und verstehe. Es scheint als würden die Jahreszeiten auch an mir durch die
Briefe vorbeiziehen, weil ich so sehr in dem Buch vertieft bin.
Am Ende des
Buches bleibe ich bewegt und sprachlos zurück. In dem Buch sind die Zeilen, die
manche Menschen nicht zu sagen wagen oder sich nicht trauen auszusprechen, aus
Angst noch mehr Angriffsfläche zu geben. Auch, wenn eine gewisse Traurigkeit
über alles bleibt, ist es gut, dass nichts weggelassen wurde, sondern alles schonungslos benannt wurde.
An dieser
Stelle ein großer Dank an Lilly Lindner, die schon so jung poetische Worte
findet, die das beschreiben, wo andere wegsehen. Das Buch wird nicht nur
betroffenen Menschen helfen, sich verstanden zu fühlen, sondern auch deutlich
mehr Verständnis für die Erkrankung Magersucht, Selbstzerstörung,
Selbstverletzung und Depressionen bringen. Ich weiß selbst, wie es ist, wenn
die Seele einmal wirklich schreit. Jahre später lese ich dieses Buch nun und
bin dankbar. Solche Büchern verändern die Welt des Verständnisses und dieses
Buch hat eine Auszeichnung verdient.
© Rezension,
2015 Sanni
Bücherlabyrintherin
Erscheinung: 19. Februar 2015
Taschenbuch, 400 Seiten, ISBN: 978-3-7335-0093-1
Labels: ab 14 Jahren, Jugendbuch, Rezension