Clara Vidalis, Expertin für Pathopsychologie am LKA Berlin,
steht vor dem bislang rätselhaftesten Fall ihrer Karriere. Eine Serie grausamer
Morde erschüttert die Hauptstadt. Zwischen den Opfern gibt es keine Verbindung
- außer der Handschrift des Täters: Die Leichen wurden nach ihrem Tod auffällig
in Szene gesetzt, in ihren Mundhöhlen findet die Polizei antike Münzen. Doch
das Merkwürdigste: Es gibt eindeutige Hinweise darauf, dass der Täter sich über
einen längeren Zeitraum bei seinen Opfern aufgehalten hat. Allerdings ist die
an den Tatorten sichergestellte DNA jedes Mal eine andere. Sind hier womöglich
mehrere Mörder am Werk? (Text und Bild: Bastei Lübbe)
Aus den Danksagungen am Ende des Buches erfährt man von der
Freundschaft des Autors mit Michael Tsokos, Professor an der Berliner Charieté
und Leiter der Rechtsmedizin, der bereits als Co-Autor für Sebastian Fitzeks
"Abgeschnitten" fungierte.
Daher also weht der Wind.
Veit Etzold scheint eine besondere Faszination für das
Morbide, die menschliche Veränglichkeit in all ihren Ausprägungen zu hegen.
Anders ist es wohl kaum zu erklären, daß er sich so hingebungsvoll seinen
Nachforschungen zu dem Thema widmete, wie es im Roman in und zwischen den
Zeilen zu erkennen ist. Einen speziellen Zugang dürfte er wohl auch in seiner
Frau Saskia, einer Gerichtsmedizinierin im Team von Michael Tsokos finden.
Gründliche Recherche, sowie die akribische Vor- und
Aufbereitung des gewonnenen Wissens gehört zum Handwerkszeug eines guten
Autors. In welchem Ausmaß dieses in weiterer Folge in den Roman einfließt, ist
eine Frage des Gespürs und scheidet Handwerk von Kunst. Profitiert die
Geschichte von ausufernden wissenschaftlichen Ausführungen, oder liegt die
Würze in der Kürze? Ist das Sachgebiet für den Leser interessant genug, daß ein
Wechsel in die Textsorte Lexikonartikel seinen Wissensdurst stillt, er durch
die Lektüre einen persönlichen Wissensgewinn verbuchen kann? Dienen
entsprechende Passagen als Stilmittel, etwa um Tempo oder Spannung zu
regulieren?
Um gleich bei der letzten Frage zu bleiben, des Eindrucks,
nicht der Leser sei Etzolds intendiertes Publikum, kann man sich kaum erwehren.
Vielmehr wirkt der Autor wie ein Gastwirt, der selbst sein bester Kunde ist,
der Roman wie ein belletristischer Beleg seines Vergnügens am Vergänglichen. Da
werden Fäulnisprozesse menschlicher Leichen in all ihren Stadien geschildert,
Organe aus aufgeschnittenen Torsi gezerrt und mit makabren Bemerkungen
quittiert. Seitenlange Beschreibungen von Foltermethoden wechseln sich mit jenen
ihrer Ergebnisse, sodaß die Ermittler und Pathologen sich oft erst durch eine
unappetitliche Mischung aus Körperflüssigkeiten kämpfen müssen, ehe die exakte
Todesursache festgestellt werden kann. Über die exakten biochemischen Abläufe
im Krematorium erfährt der Leser dabei ebenso viel wie über die Etymologie der
an der Vewesung beteiligten Stoffe.
Und zu welchem Zweck? Die Anzahl jener Leser, die sich von
derart expliziten Darstellungen abgestoßen fühlen, dürfte jene der Leser
übersteigen, die dadurch eine persönliche Bereicherung erfahren. Aus dem Wesen
der Geschichte selbst ist dieser Detaillierungsgrad nicht zu rechtfertigen,
eine bewußte Erzeugung von Gegensätzen kaum zu erkennen. Gelingt es dem Autor
vorerst noch, das Tempo der Erzählung durch
Ausflüge an den Seziertisch zu drosseln, wirken diese rasch wie ein
bewußtes Bremsen. Zahlreiche Wiederholungen unappetitlicher Details tragen nur insofern zur Spannung bei, als daß sie
mit Ungeduld erfüllen. Des Dozierens wird man recht bald überdrüssig, und der
offensichtlich zur Auflockerung eingeflochtene Sarkasmus wirkt oft
unangebracht. Auch, wenn der Autor mit humanistischer Bildung demonstrieren
will, daß seine Interessen keinewegs einseitig sind, er aus Dantes Göttlicher
Komödie und aus Shakespeare-Sonetten zitiert oder um Goethes letzte Worte weiß,
wird der Roman dadurch keineswegs intellektueller.
- Wer ist Clara Vidalis?
- Was ist das Besondere an dieser Figur?
- Warum ist gerade sie mit dem Fall des Todeswächters betraut?
Áuch nach Antworten auf diese Fragen sucht man während der
Lektüre vergeblich. Durfte sie in "Final Cut", dem ersten Band der
Reihe mit ihrem psychologisch geschulten Verstand maßgeblich zur Lösung des
Falles beitragen und im Nachfolger "Seelenangst" noch glaubhaft an
ihren nicht-körperlichen Wunden leiden, wirkt sie in "Todeswächter"
austauschbar und beliebig. Abgesehen von der klischeehaften Angewohnheit, den
Alkohol einem geschulten Experten zur Psychotherapie vorzuziehen, weist sie nur
mehr wenig an individuellen Merkmalen auf, die sie zur Jagd auf gerade diesen
Mörder prädestinieren. Dieses Schicksal teilt sie mit ihren ermittelnden
Kollegen, die sich nur mehr durch die Berufsbezeichnungen unterscheiden. Selbst
der ob seiner Vorliebe für Shakespeare mit dem Spitznamen "MacDeath"
ausgestattete Profiler darf sein exzentrisches Potential nicht mehr ausspielen.
Die Mitglieder des Teams wirken seltsam schwer von Begriff, sodaß ihre
Nachfragen zum längst Offensichtlichen lediglich als Stichworte für abermalige
Erklärungen etwa zur Beschaffenheit menschlichen Blutes dienen.
Ein emotionaler Höhepunkt sei dem Roman jedoch angerechnet:
Als der spätere Serienmörder im Kindesalter seine zu Tode getretene Mutter
auffindet und die Nacht bei ihr verharrt, ehe er von den Einsatzkräften
traumatisiert aufgefunden wird, hat der Leser mit den Tränen zu kämpfen.
Persönliches Fazit
Der dritte Teil der Clara Vidalis-Reihe liest sich wie eine
Ansammlung von Artikeln aus einem pathologischen Lexikon, in deren
Zwischenräumen die Ermittlungen zu mysteriösen Morden stattfinden dürfen.
Insgesamt verhalten spannend, langatmig, oft jedoch unmotiviert abstoßend.
© Rezension: 2015, Wolfgang Brandner
Todeswächter - Veit Etzold - Bastei Lübbe
Erscheinung: 19.07.2014
ISBN: 978-3-8387-5401-7
Format: eBook / Umfang: 445 Seiten
[wolfgang]
Labels: Beitrag von Wolfgang, Rezension, Thriller