Eiskalter Mord Ein
eiskalter dritter Advent. Die resolute Drummerin Ilsa hat ihren Mann verlassen
und ist auf dem Weg in ihr Ferienhaus. An einer Tankstelle liest sie die völlig
verstörte Moni auf. Kurzerhand nimmt Ilsa sie mit in die Fränkische Schweiz. Monis
Gedächtnis ist wie ausgelöscht. Sie wiederholt ein ums andere Mal, dass sich
ein Wagen überschlagen hat und jemand ums Leben kam. Doch wer? Und worauf ist
der Typ aus, der einige Tage vor Weihnachten plötzlich beim Ferienhaus
auftaucht? Bevor Ilsa die Zusammenhänge begreift, eskaliert die Lage.
Friederike Schmöe
Geboren und aufgewachsen in Coburg, wurde Friederike Schmöe
früh zur Büchernärrin - eine Leidenschaft, der die Universitätsdozentin heute
beruflich frönt. In ihrer Schreibwerkstatt in der Weltkulturerbestadt Bamberg
verfasst sie seit 2000 Kriminalromane und Kurzgeschichten; sie gibt
Kreativitätskurse für Kinder und Erwachsene und veranstaltet Literaturevents,
auf denen sie in Begleitung von Musikern aus ihren Werken liest. Ihr
literarisches Universum umfasst u.a. die Krimireihe um die Bamberger
Privatdetektivin Katinka Palfy und eine Krimiserie mit der Münchner
Ghostwriterin Kea Laverde als Hauptfigur. Der 2009 erschienene erste Band wurde
von Brigitte unter den »besten Taschenbüchern für den Urlaub« empfohlen.
Der Roman ist in 42 Kapitel gegliedert, in denen zwischen
mehreren Handlungssträngen gewechselt wird. Die Ich-Perspektive markiert dabei
die Hauptfigur Ilsa, während die Ereignisse um Moni, ihren Freund Gerolf und
einem zunächst unbekannten Beobachter auktorial geschildert sind. Dabei
versteht es die Autorin, gewohnt souverän die lange parallel verlaufenden Fäden
schließlich zu einem stimmigen Showdown zu verknüpfen, der keine Fragen
unbeantwortet läßt.
Aus rein sprachlicher Sicht müßte der Roman jedoch mit dem
Etikett "Regionalkrimi" versehen werden: Begriffe und Redewendungen,
die nicht im gesamten deutschen Sprachraum geläufig sind, treten nämlich in
einer Häufigkeit auf, die nahelegt, daß auf diese Weise Lokalkolorit vermittelt
werden soll. Beispielsweise erschließt sich die Bedeutung von "volle
Lotte" oder "Mach hinne!" nur aus dem Kontext, für
"Hänfling", "Tanke" und "Troyer" wäre ein bei
spezifisch österreichischen Unterhaltungsromanen übliches Glossar hilfreich
gewesen.
Die Nächte um Weihnachten und Neujahr sind lang und kalt,
alle Geräusche gedämpft, alles Geschehen verlangsamt. Die Zeit ist vom Glauben
geprägt, von Tradition durchsetzt. Etwas Altes findet seinen Abschluß, etwas
Neues beginnt. Es ist dies eine Zeit es Innehaltens, des Zurückblickens, der
stillen Freude und des hoffnungsvollens Vorausschauens. In dieser Stimmung ist
auch Friederike Schmöes mittlerweile vierter Weihnachtskrimi angesiedelt, der
im Gegensatz zu seinen drei Vorgängern nicht auf die bewährte Serienheldin
Katinka Palfy setzt. Hauptfigur Ilsa, Drummerin einer mittlerweile aufgelösten
Punkband namens Skunky Pie sieht sich an einem Wendepunkt: Soeben hat sie ihre
Spielsucht überwunden, da wird sie von ihrem Mann betrogen. Die Distanz zu den
Scherben ihrer Beziehung sucht sie in erster Linie physisch: In den letzten
Tagen des Jahres begibt sie sich auf eine Reise, orientierungslos, emotional
ungeschützt, den Elementen ausgesetzt auf die Suche nach Herberge. Im Stil
eines Roadmovies vermeint man die Szene von Chris Reas "Driving Home for
Christmas" untermalt, wenn Ilsa in der Einsamkeit ihreres Autos die
verschneite Landschaft vorüberziehen und die musikalisch-rebellischen Zeiten
Revue passieren läßt.
Gekonnt thematisiert Friederike Schmöe die Erinnerung als
Richtschnur im Leben, als jenen Teil des Weges, der hinter uns liegt, die Frage
nach dem Woher beantwortet. Ebenso, wie Ilsa sich über ihre Punk-Vergangenheit
definiert, ist der unter Gedächtnisverlust leidenden Moni diese
Definitionskraft abhanden gekommen. Wo Ilsa ihre Zukunft anhand der
Vergangenheit planen kann, muß Moni erst ihre eigene Gegenwart finden. Dabei
streift die Autorin auch die Frage, ob das Gedächtnis eine Schutzfunktion durch
sein Aussetzen übernehmen kann. Wenn uns das, was aus dem Spiegel
entgegenblickt, in Schaudern versetzt, wäre es dann nicht besser, heilsamer,
sich gänzlich neu zu erfinden? Ist ein Mensch ohne Vergangenheit tatsächlich
frei im Entwurf seiner Zukunft?
Ein facettenreiches psychologisches Verwirrspiel zu
erwarten, wäre jedoch unangebracht, diesen Anspruch will der Roman auch gar
nicht erfüllen. Stattdessen verzichtet er zugunsten leichter,
feiertagsadäquater Unterhaltung bewußt auf zu große Komplexität. Anhand von
Symbolen wie dem in weihnachtlicher Beleuchtung erstrahlenden Dorf, Schokoladenikoläusen
und Schneegestöber erfolgt immer wieder die zeitliche Einordnung, und auch mit
der Hütte in den Bergen, deren Abgeschiedenheit das Gefühl der Einsamkeit und
Hilflosigkeit noch verstärkt, wird zudem auf ein bekanntes Topos gesetzt.
Begegnungen mit der eigenen Kindheit in diesem einstigen Zufluchtsort erfüllen
zudem Hauptfigur und Leser mit wehmütiger Nostalgie. "Die Handschrift
eines Menschen, den du geliebt hast, kann dich wahnsinnig machen. Die
Buchstaben sind noch da, ihr Urheber ist Asche", wird Ilsa nachdenklich,
nachdem sie handgeschriebene Rezepte ihrer verstorbenen Mutter gefunden hat.
Mit ihrem vierten Weihnachtskrimi legt uns Friederike Schmöe
spannende Krimiunterhaltung mit einem actionreichen Finale unter dem
Christbaum.
© Rezension: 2014, Wolfgang Brandner
Paperback / Oktober 2013
ISBN 978-3-8392-1436-7
Labels: Beitrag von Wolfgang, Gmeiner Verlag, Krimi, Rezension, Weihnachten