Livy und ihr Mann Will führen eine solide Ehe - wäre da nicht Wills Affäre mit
einer Kollegin vor einigen Jahren gewesen. Will ist gerade auf Dienstreise, als
Livys glamouröse Freundin Julia tot aufgefunden wird. Livy entdeckt, dass Julia
eine Agentur beauftragt hatte, die mithilfe weiblicher Agenten testet, ob ein
Mann seiner Frau treu ist. Gegenstand der Recherche war Will. Hatte Julia den
Verdacht, dass Will erneut untreu war? Oder war sie selbst in eine Affäre mit
ihm verwickelt? Während Livy diesen Fragen nachgeht, gerät sie in große Gefahr
...
Die Autorin
Sophie McKenzie hat bereits mehr als fünfzehn Romane geschrieben, darunter die
preisgekrönten Teenage-Thriller Girl, Missing, Sister, Missing und Missing Me.
Sie erhielt zahlreiche Preise und stand zwei mal auf der Longlist für die
Carnegie Medal. Sophie McKenzie lebt in London. (Text + Cover: Heyne Verlag)
Der Roman gliedert sich in 22 relativ ausführliche Kapitel, eine
filmschnittartige Szenenabfolge sucht man vergeblich. Sowohl durch das Präsens
als dominierendes Erzähltempus als auch die Perspektive der ersten Person wird
der Leser zum ständigen Begleiter der Hauptfigur Livy Jackson, wird in hohem
Ausmaß in ihren Alltag eingebunden. Durch kurze kursiv gesetzte Passagen, die
als Briefe verfasst sind, in denen sich der Mörder persönlich an den Leser
wendet, erhält dieser Einblicke in dessen Motivation. Inhaltlich drängt sich
der Vergleich mit dem Vorgängerroman "Seit du tot bist" auf. Auch
hier wird der Leser von einer mondänen Mittdreißigerin in die Londoner
Oberschicht eingeführt, auch hier entpuppt sich dessen blendender Schein als
Ansammlung von Oberflächlichkeiten. Hier wie dort verbirgt der Gatte der
Protagonistin ein dunkles Geheimnis, hier wie dort gilt es, in einer Vielfalt
von Namen, aus denen sich erst langsam konkrete Persönlichkeiten formen, die
Orientierung zu bewahren. Während jedoch das Thriller-Debüt der Autorin, die
bereits im Jugendbuchbereich wohlbekannt ist, im Zeichen einer problematischen
Mutterschaft steht, kreist "Du musst mir vertrauen" um das Thema
eheliche Treue. Somit gelingt es, trotz einer auf den ersten Blick
verwechselbaren Figurenkonstellation, einen eigenständigen, auch ohne Kenntnis
des Vorgängers genießbaren Roman zu schaffen.
Der erwähnte Informationsvorsprung über den Antagonisten erweist sich als ein
scheinbarer, da dessen Affinität zur Gewalt sich episodenartig zu einer
Biographie fügt, Hinweise auf seine wahre Identität jedoch spärlich sind. Die
seltenen Bezüge zur Gegenwart der Handlung saugt der Leser gierig auf, um sie
mit den Charaktereigenschaften der bekannten Figuren abzugleichen. Wer aus
Livys Umfeld könnte der Mörder sein? Wer weist dieselbe Vorliebe für Scotch,
wer eine vergleichbare emotionale Kälte auf? In bester britischer
Whodunnit-Tradition verführt der Roman zum neugierigen Mitraten.
Als besonders versiert zeigt sich die Autorin in der Variation des Tempos, dem
Verhältnis der Erzählzeit zur erzählten Zeit. Dialoge, in denen die
Persönlichkeiten der Protagonisten um einzelne Nuancen bereichert werden, sind
mit all ihren verbalen und non-verbalen Kommunikationsbestandteilen
wiedergegeben, während solche, die lediglich der Vermittlung von
Sachinformation dienen, in wenigen Zeilen abgewickelt werden. So erfährt man
aus einem kurzen Telefonat oder der Konversation mit einem Barkeeper lediglich
die Inhalte, ohne zu fürchten, Essentielles zu versäumen.
Obwohl Sophie McKenzie also geschickt zu priorisieren und über das strukturelle
Werkzeug der Geschwindigkeit inhaltliche Schwerpunkte zu setzen versteht,
wirken gerade zu Beginn auftretende Längen befremdlich: Seitenlang ergeht sie
sich in Details des privaten und öffentlichen Lebens der Ich-Erzählerin,
während der Leser auf Nadeln sitzend der Aufklärung eines Mordes harrt. Beinahe
paradox ist es daher, wenn der Leser nach gut hundert Seiten zwar bestens über
die bevorzugte Garderobe der Ermordeten Bescheid weiß, nichts jedoch über die genaueren
Umstände ihres Todes. Minutiös geschilderte Abläufe einer Dinnerparty oder Akte
pubertierenden Aufbegehrens der zwölfjährigen Tochter Hannah bewirken somit ein
Übergewicht auf der erzählerischen Waage gegenüber mörderischer
Spannungselemente, das im weiteren Verlauf nur mehr schwer wieder ausgeglichen
werden kann. Eine Dichte an handlungstragenden Spannungsmomenten, wie sie mit
vergleichbarer Thematik etwa Gillian Flynn, Sophie Hannah oder auch Charlotte
Link und Petra Hammesfahr bieten, wird niemals erreicht.
Dazu passt, dass auch der Klappentext des Buches, dessen Aufgabe üblicherweise
darin besteht, die Neugier zu wecken, weit vorgreifen muss, um den Kern der
Geschichte wiederzugeben. Im ersten Drittel ertappt man sich mitunter dabei,
ungeduldig nochmals die Rückseite des Buches zu studieren. In der Tat wird der
Leser erst nach einem Déjà-Vu-Erlebnis auf Seite 190 in die
spannungsverheißende Ungewissheit entlassen.
Aufgrund der erwähnten Schwerpunktsetzung überzeugt der Roman daher weniger als
schlafraubendes Stück Spannungslektüre, sondern vielmehr im Entwurf der
Hauptfigur und Ich-Erzählerin. Diese ist derart sorgfältig ausgearbeitet, mit
so vielen Nuancen und Variationen im Verhalten geschildert, dass alle anderen
Charaktere neben ihr zu blassen Komparsen verkümmern. Die Verzweiflung, wenn
sie ihren Mann Will der Untreue verdächtigt, der vollständige Zusammenbruch der
jugendlichen Welt beim Tod ihrer Schwester, die zahlreichen emotionalen
Ausnahmesituationen werden anhand körperlicher Manifestationen der nervlichen
Belastung illustriert und scheinen wie durch eine optische Linse konzentriert.
Daneben werden aber auch ganz alltägliche Situationen wie eine leere
Waschmittelpackung oder die Hektik am Frühstückstisch durchlebt und authentisch
kommentiert.
Obwohl gerade die Suche nach dem Mörder als roter Faden nicht aus den Augen
verloren wird, kann diese nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei
"Du musst mir vertrauen" eher um einen gemächlichen Whodunnit-Krimi
als einen adrenaliberauschenden Thriller handelt. Zu wenige überraschende
Wendungen lauern auf den Leser, zu wenige Momente, in denen er auf die Folter
gespannt wird.
© Rezension: 2014, Wolfgang Brandner
Taschenbuch, 464 Seiten
Erschienen im Dezember 2014
ISBN 978-3-453-41448-8
Labels: Beitrag von Wolfgang, Heyne Verlag, Rezension, Thriller