München und Wien: Eine Serie brutaler Morde an katholischen
Geistlichen schockiert die Öffentlichkeit. Die Opfer werden auf grausame Weise
gefoltert und getötet. Am Tatort werden mysteriöse Hinweise gefunden, die
jedoch niemand entschlüsseln kann. Kriminalbeamtin Jutta Stern und ihr Partner
Thomas Neumann stehen vor einem Rätsel. Was hat die Opfer verbunden? Was treibt
den Mörder an? Bei ihren Ermittlungen stößt Jutta auf eine Mauer aus Angst und
Schweigen - doch dann entdeckt sie eine Spur, die weit in die Vergangenheit
zurück reicht ...
Jennifer B. Wind
Die gebürtige Leobnerin, die in der Nähe von Wien wohnt, ist
vielseitig engagiert in der Welt der Literatur. So betreibt die ehemalige
Flugbegleiterin für die Zeitschrift "Woman" einen Blog mit
Interviews, ist in der Jury eines Schreibwettbewerbs zu finden und als Mitglied
eines Vereins deutschsprachiger Krimiautorinnen zu finden, um nur einige ihrer Beschäftigungen
zu nennen.
(Cover + Text: Gmeiner Verlag)
Der Roman gliedert sich in vier Abschnitte, die mit Begriffspaaren
("Angst und Tod", "Gott und Dämonen", "Kinder und
Engel", "Freiheit und Liebe") betitelt und in 63 Kapitel
untergliedert sind. In auktorialer Perspektive wird das Geschehen aus Sicht der
Ermittler geschildert, wobei die Kommissarin Jutta Stern und der Profiler
Thomas Neumann, genannt Tom, als Hauptfiguren fungieren. Mit dem zweiten
Abschnitt reichern in erster Person erzählte Tagebuchauszüge eines in den
1970er Jahren gepeinigten Heimkindes namens Rebecca den Text an. Die
Satzstruktur ist einfach gehalten, was ein hohes Lesetempo forciert. Besonderes
Gespür beweist die Autorin in der Unterscheidung jener Dialoge, die ausführlich
und in direkter Rede und jener, die als geraffte Zusammenfassung wiedergegeben
werden müssen, um die Balance zwischen Dramatik und Informationsvermittlung zu
bewahren.
Ganz offensichtlich hegt die Autorin ein Faible für die
amerikanische TV-Serie "Criminal Minds", in der ein eingespieltes
Team von Profilern episodenweise Serientäter zur Strecke bringt. Zum einen
erinnert eine polizeiinterne Besprechung an die Dramaturgie der obligaten
Briefings der Serie, zum anderen wird sie sogar explizit erwähnt, als Tom
Neumann mit einer der Figuren verglichen wird. Auf den ersten Blick wirkt er
wie eine Kopie des überdurchschnittlich intelligenten Spencer Reid, der sich in
jugendlichem Alter bereits mehrere Doktortitel erarbeitet hat und über die
Fähigkeit verfügt, den Inhalt eines Buches innerhalb kürzester Zeit zu
memorieren. Tom spricht sechs Sprachen, verfügt selbstverstädnlich ebenfalls
über einen akademischen Abschluß, spielt Klavier, unterhält einen perfekt
organisierten Haushalt, hat große Teile der Welt bereist und weist kleinere
soziale Defizite auf, wie sie stark intellektuellen Figuren quasi als
Nebenwirkung zu eigen sind. Als Draufgabe durfte Tom noch ein Praktikum in der
FBI-Zentrale in Quantico absolvieren, um in der österreichischen Polizei die
Aufgabe eines Profilers zu erfüllen. Tatsächlich bildet Tom ein kreativ
entworfenes Konglomerat aus Aspekten von Persönlichkeiten aus der Umgebung der
Autorin und repräsentiert - insbesondere in seiner Leidenschaft für
Bücherschätze - zu einem guten Teil sogar diese selbst.
Ebenso wie Tom als Superhirn sich in die Handlung fügt,
erfüllt auch Jutta artig und ganz ohne Aufbegehren die ihr zugedachte Rolle als
sexuell unterversorgte Ermittlerin, die meint, in einem von Männern dominierten
Beruf besondere Zähheit beweisen zu müssen. Durch den Verlust ihres Mannes
seelisch versehrt, tablettensüchtig und unter Schlafmangel leidend, erfüllt sie
genau jene Kriterien, die sie als Pendant zu schwedischen Kommissaren vom
Schlage Wallanders qualifizieren. Seit es als Zeichen besonderen Realismus'
gilt, deren Ehe ebenso stark zu strapazieren wie deren Leber, zählt ein
schwerer Sorgenrucksack ja als obligat für verbrecherjagende Protagonisten.
Zudem erinnert die Verteilung der klassischen Aufgaben
Muscle/Brain auf eine straßen- und lebenserprobte Polizistin und einen etwas
verhaltensauffälligen Profiler an den Roman "Todesfrist" des
österreichischen Autors Andreas Gruber. Dessen Verhaltensexperte Maarten S.
Sneijder agiert jedoch dermaßen überzeichnet exzentrisch, daß er als Figur den
Roman entscheidend mitprägt, während für Tom der Vergleich mit genannter
TV-Figur sogar hinderlich sein kann, indem er die Rezeption in bekannte zu kurz
greifende Schemata leitet.
Nach dem Klappentext und den ersten Kapiteln vermeint sich
der Leser zunächst in einer
Verschwörungsgeschichte religiöser Prägung nach dem Strickmuster von Dan
Brown zu finden, müssen doch kirchliche Würdenträger auf grausame, rituell
anmutende Weise ihr Leben lassen. Zeitlich sind die Morde zudem in der
symbolisch aufgeladenen Karwoche angesiedelt, was ebenfalls die
Erwartungshaltung des Lesers auf bekannte Muster richtet. Anstelle jedoch wie bei
Richard Montanaris "Crucifix" daraus einen atemlosen Countdown mit
dem Ostersonntag als Finale zu schaffen, nimmt die Autorin jedoch in ihrer
Erzählung eine scharfe Kurve und biegt in Richtung eines brav konstruierten
Regionalkrimis ab. Vorerst. Denn kaum hat sich der Leser damit abgefunden,
keinen konspirativen Kirchenkritiker zu jagen, der wie beispielsweise im Film
"Sieben" seine Morde nach den sieben Todsünden inszeniert, lauert die
nächste Wendung: Regionalkimiuntypisch rückt ein ehemaliges Internat ins
Zentrum der Ermittlungen, in dem systematisch Minderjährige gequält wurden.
Assoziationen zu einem ganz anderen Film, nämlich "Sleepers", in dem
anhand eines Mordes in der Gegenwart
Verbrechen der Vergangenheit enthüllt werden, drängen sich auf, wenn die
Rollenverteilung zwischen Opfer und Täter plötzlich nicht mehr eindeutig ist.
Für das Serienmörder-Thriller-Genre bietet der Roman nun
kaum innovative Ansätze oder bahnbrechende Überraschungen, die ihn von
vergleichbaren Titeln abheben. Traumatisierte Ermittler, die ungewöhnliche
Teams bilden, Mörder, die der Meinung sind, unsägliches Leid nur auf eine
einzige Weise sühnen zu können, selbst bis ins grausamste Detail geschilderte
Folterszenen sind zuhauf zwischen zwei Buchdeckeln zu finden. Wodurch sich die
Autorin jedoch sehr wohl von ihren Kollegen unterscheidet, ist ihre Motivation.
Wie sie im Nachwort schildert, wurde sie durch ihre Recherchen zu den
"Houses of Horror", konfessionellen irischen Internaten, nachhaltig
erschüttert. Ein unfaßbares System aus Mißbrauch, Kinderarbeit und sogar
Versuchen mit Medikamenten, das erst mühsam aufgearbeitet werden muß und in
ähnlicher Form auch in anderen Ländern zu finden ist, bildet die reale
Grundlage für ihren Roman. Szenen von explizitem sexuellem Mißbrauch oder
Zöglingen, die dazu gezwungen werden, ihr eigenes Erbrochenes zu essen, mögen
auf den ersten Blick als Stilmittel scheinen, um die Bösartigkeit der Peiniger
zu veranschaulichen. Was sie jedoch bewirken - und wessen sich der Leser nicht
entziehen kann - ist, den in Medien veröffentlichten abstrakten Zahlen konkrete
kindliche Gesichter zu verleihen.
Die Schilderungen der auf realen Ereignissen basierenden
Mißbrauchsfälle dringen tief ein, berühren, rütteln auf. Die Seelen der Opfer
sind zerstört, als Erwachsene leiden sie unter psychischen Krankheiten wie
Persönlichkeitsstörungen und schwersten Depressionen, die es ihnen
verunmöglichen, jemals ein zufriedenes Leben zu führen. "Ich weiß, diese
Passagen sind teilweise hart zu lesen und gehen beiahe bis an die Grenze des
Erträglichen", ist sich die Autorin in ihrem Nachwort sehr wohl bewußt.
Verstärkt wird diese Härte durch die zwischen den Seiten hervortriefende
Hoffnungslosigkeit, die an Marquis de Sades "Justine" erinnert.
Andere Autoren nutzen Gewalt als Teil ihrer Dramaturgie, Jennifer Wind
verbindet damit jedoch ein aufrichtiges Anliegen. Nicht jeder Autor bringt den
Mut auf, diesem mit einem adäquaten Maß an Pietät gerecht zu werden, nicht
jedem gelingt es wie Jennifer Wind, eine Geschichte zu errichten, das wie ein
Mahnmal in einer Wohnstraße wirkt.
Überraschende Wendungen oder originelle Persönlichkeiten
sind in "Als Gott schlief" wohl nicht zu finden. Vielmehr wird anhand
bekannter Muster eines Stadt-Land-Krimis die Aufdeckung eines Falles
systematisch praktizierter Gewalt an Kindern erzählt, die durch den realen
Hintergrund und die detaillierten Schilderungen umso realistischer,
aufrüttelnder wirkt.
© Rezension: 2014, Wolfgang Brandner
373 Sseiten, Klappenbroschur
Erscheinungstermin: Dezember 2014
Labels: Beitrag von Wolfgang, Gmeiner Verlag, Krimi, Rezension