Neuerdings weiß Claire nicht mehr, welcher Schuh zu welchem Fuß gehört. Oder wie das orangefarbene Gemüse heißt, das auf dem Herd köchelt. Und manchmal geht sie im Pyjama spazieren. Sie weiß, dass das nicht normal ist. Doch das Leben ist zu kurz, um Trübsal zu blasen. Und so schreibt sie, noch bevor die letzte Erinnerung verblasst, all die großen und kleinen Momente der vergangenen Jahre nieder. Wohl wissend, dass diese Gedankenschnipsel schon bald das Einzige sein werden, was ihrer Familie von ihr bleibt. Dabei gibt es noch so viel zu erledigen: Sie muss sich mit ihrer Tochter versöhnen und ihrem Mann zeigen, wie sie die Lieblingslasagne ihrer Kinder zubereitet. Sie muss ein letztes Mal leben, frei sein, sich vielleicht auch neu verlieben. Denn das Leben ist eine Wundertüte. Und wenn die Zeit davonrennt, ist jede Minute kostbar.
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Die aus Hertfordshire stammende Autorin Rowan Coleman legt mit "einfach unvergesslich" nun schon ihren elften Roman vor. Sie schreibt in verschiedenen Bereichen, unter anderem auch lustige Frauenromane, widmet sich aber in diesem Buch einem sehr ernsten Thema, nämlich Alzheimer und Demenz in jungem Alter.
Die junge und selbstbewusste Claire hat mit Anfang 40 eine Krankheit von ihrem Vater vererbt bekommen - sie leidet unter einer Frühform der Alzheimer Demenz. Zuerst möchte sie es nicht wahr haben, aber nach und nach schwinden ihre Erinnerungen, Namen entfallen ihr und sie kann manchen Dingen plötzlich keine Bedeutung mehr beimessen. Als sie es wirklich nicht mehr leugnen kann, beginnt für sie die schwere Zeit des Realisierens. Sie muss sich damit auseinandersetzen und sich selbst eingestehen, dass sie zwar stark bleiben muss (und stark war sie bisher immer im Leben) und alleine schon um ihrer Kinder willen nicht resignieren darf, dass sie aber diesen Kampf nicht gewinnen kann.
Dies ist etwas, dass auch allen Familienmitgliedern sehr bewusst wird, beschäftigt und schockiert. Besonders ihre siebzehnjährige Tochter Caitlin, die selbst gerade eine schwierige Phase durchmacht.
»Mum hat immer für irgendwas gekämpft. Solange ich denken kann.
Das hier ist die erste Schlacht ihres Lebens, von der sie bereits jetzt weiß, dass sie nicht gewinnen kann.« Caitlin, Seite 44
Für alle beginnt ein Prozess des Verstehens, des Begreifens. Sie müssen sich alle neu orientieren und umdenken. Der Zusammenhalt ist das Wichtigste, aber wahrlich nicht einfach. Denn die Belastung ist selbstverständlich groß. Die Großmutter, die schon ihren Mann durch diese schwere Krankheit begleitete und nun an der Seite ihrer Tochter steht und mit einer inneren Verzweiflung kämpft. Oder Claires Ehemann Graig, der sich immer mehr zurückzieht und sich wie ein Fremder fühlt - denn seine eigene Frau geht immer mehr auf Distanz zu ihm, ja meidet ihn sogar regelrecht. Für sie ist er plötzlich ein Fremder.
Tochter Caitlin steht an der Schwelle des Erwachsenwerdens und bräuchte ihre Mutter gerade mehr denn je - doch die Rollen wurden getauscht und das wirft sie völlig aus der Bahn. Denn ihre Gedanken fahren Karussell: was wird aus ihrer kleinen Schwester, dem dreijährigen Nesthäkchen der Familie? Wird sie die Mutter ersetzen? Kann sie das überhaupt? Was ist mit ihren eigenen Träumen und Zielen? Und dann macht sie eine Entdeckung, mit der sie kaum umgehen kann und sie ergreift erst einmal die Flucht.
Plötzlich ist alles anders, Prioritäten verschieben sich, das Familienleben wird zu einer Herausforderung.
Hilfe soll das Erinnerungsbuch schaffen. Ein Notizbuch, in dem alle Familienmitglieder ihre Erinnerungen festhalten. Aufschreiben, was ihnen wichtig erscheint, was sie berührt, was sie bewegt. Das Buch füllt sich schnell, wird immer dicker. Claire nutzt die klaren Momente und füllt das Buch mit allem, was ihr einfällt, was sie unbedingt festhalten möchte, bevor es ihren Gedanken entgleitet und nur noch dichter Nebel herrscht.
Dieses Buch wird zum Dreh- und Angelpunkt der Familie. Es hilft, zu verstehen. Es hilft, sich zu erinnern. Es hilft, loszulassen ...
»Mutter zu sein bedeutet, seine Kinder vor allem zu beschützen, was sie möglicherweise verletzten könnte. Es bedeutet aber auch, ihnen zu vertrauen, dass sie ihren eigenen Weg finden und meistern. Und darauf zu vertrauen, dass sie es auch dann schaffen können, wenn man nicht da ist, um ihre Hand zu halten.« aus Claires Erinnerungsbuch, Seite 169
Beim Lesen wird dadurch auch das eigene Gedankenkarussell angeschubst und das "was wäre, wenn" bleibt nicht aus. Dennoch hat es Rowan Coleman durch ihren Schreibstil geschafft, dass das Gelesene zwar nachdenklich stimmt, aber dennoch nicht zu sehr belastet. So fehlt es auch nicht humorvollen Szenen, die einen Schmunzeln lassen und auch Claires leicht zynischer Charakter trägt viel zu dieser besagten Lockerheit bei. Erzählt wird die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven. Abwechselnd kommen die Familienmitglieder zu Wort und die gewählte Ich-Perspektive erlaubt einen großen Einblick in die Gefühlswelt aller Beteiligten.