Auf der Suche nach Inspiration für seinen neuen Roman stößt der junge Schriftsteller Benito in einer alten Zeitung auf die Notiz eines Mordes, in den offenbar sein Großvater Samu verwickelt war, den er nie kennengelernt hat. Und doch vernimmt Benito plötzlich Samus Stimme, die ihm eine große Generationensaga ins Herz diktiert: Es ist die bewegte Geschichte seiner Familie in der Kleinstadt Paitanás, am Rande der Atacamawüste im Norden Chiles, die vier dramatische Jahrzehnte umspannt. Wehmütig und zärtlich blickt Samu auf die Vergangenheit zurück und erweckt Gestalten wie den korrupten Dorfpfarrer, der mit dem Freudenmädchen Trinidad unter einer Decke steckt, oder die wilde Lorenzona, die durch die Wüste reitet, wieder zum Leben. Und er führt Benito zu dem Geheimnis seiner Herkunft, das eng mit den Grausamkeiten der chilenischen Geschichte zusammenhängt.
Rodrigo Díaz Cortez legt mit "Der mieseste aller Krieger" ein unglaublich tiefgründiges, offenes und facettenreiches Werk vor, dass mich mitnahm auf eine Reise ins staubige, heiße Chile. Zu Beginn etwas irritiert vom Erzählstil, findet man doch recht schnell in die Geschichte und begreift die Zusammenhänge. Man sollte sich auf jeden Fall die nötige Ruhe für dieses Werk gönnen, denn der Autor schickt seinen Leser auf Zickzackkurs durch vier Jahrzehnte, erzählt mal hier, mal dort die Familiengeschichte weiter und sichert sich so die nötige Aufmerksamkeit.
Samu, der seinem Enkel Benito auf der Suche nach schriftstellerischer Inspirationen als Geist erscheint, blickt zurück auf seine eigene Geschichte, sein Leben, seine Familie und seine Freunde, ganz besonders seinem langjährigen Kumpel Sofanor, dessen plötzlicher Tod ihm lange nachhing und ihn beschäftigte. Er berichtet Benito von seinen jungen Jahren, seiner ersten Liebe, die er nie vergessen konnte und natürlich von seiner Ehe mit der liebevollen und sehr tierlieben Flor, die immer eine Schar Hunde um sich hatte. Er erzählt über seine hübsche, eigensinnige und selbstbewusste Tochter Tita, wie das junge Mädchen den Weg in die Familie gefunden hat und wie rasant sich die Welt veränderte, während er zusah, wie sie erwachsen wurde.
"Doch dann geschah das Wunder. Die Tita blickte ihr in die Augen und schenkte ihr ein wundervolles zahnloses Lächeln, woraufhin deiner Großmutter die Tränen kamen, Benito." - Seite 17
Und war das Leben schon hart, als das Salpetergeschäft noch florierte, war es doch nichts gegen das, was noch kommen sollte. Korruption, Mord und Totschlag zogen ein in das Städtchen Paitanás und Samu versuchte (ganz im Gegensatz zu seiner Tochter), sich aus allem herauszuhalten. Er bot den Männern die "Arche Noah" - das kleine Bordell, dass für viele doch der letzte Rettungsanker vor dem sicheren psychischen Untergang war. Er war kein Krieger, definitiv nicht. Die Arche Noah war seine Art, den Menschen zu helfen.Samu liebt seine Familie, wie man es als Mann dieser schweren Zeiten nur tun kann und es ist ihm ein großes Bedürfnis, seinem Enkel dies 'einzuflüstern', ihm aufzuzeigen, wo er hingehört, wo seine Wurzeln liegen. Auch - oder gerade weil - Benito seine wahren Eltern nie kennenlernte.
"Ich kam zu dem Schluss, dass die Liebe wohl die göttlichste aller Absurditäten war oder vielleicht auch das einzige Absurde, dem ein Hauch von Göttlichem anhaftete." - Seite 81
Der chilenische Salpeter war hochbegehrt in der Welt, aber die Arbeit in den Salpeterwerken war unglaublich hart und trieb die Pampinos, die Kumpel, an ihre Grenzen. Arbeiten rund um die Uhr, Glutsonne und Massen an Staub, der sich auf die Lunge setzte und den Mund austrocknete. Der ärmliche Lohn ging für das abendliche Bier und Hurerei drauf, was ein paar Minuten vom erbärmlichen Leben ablenken soll.Doch nachdem ein Weg gefunden wurde, den Salpeter künstlich herzustellen, ging es bergab mit dem Salpeterabbau, der nun als nicht mehr rentabel angesehen wurde. Die Pampinos reisten von Stadt zu Stadt auf der Suche nach Arbeit und etwas Brot. Aufstände gab es und die Regierung weiß sich nicht anders zu helfen als mit roher Gewalt. Niederschmetternde Ungerechtigkeiten suchen Chile heim, Armut, Massenmorde, Massengräber und das alles im Namen der Regierung, durchgeführt durch die bestechlichen Armee und Polizei...
Persönliches Fazit
Rodrigo Díaz Cortez erschafft mit diesem Werk eine unglaublich emotionsgeladene und nachdenklich stimmende Generationssaga, die mich tief berührte und auch stellenweise betroffen zurück ließ. "Der mieseste aller Krieger" ist eine gelungene Gangsterballade, die von wehmütiger Melancholie durchzogen ist, aber auch mit einer ganz besonderen Art sarkastischem Humor aufwarten kann. Ein faszinierender Erzählstil, auf den man sich einlassen muss, der aber dann regelrecht begeistert und ans Buch fesselt.
© Rezension: 2013, Alexandra Zylenas
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