Rezension: Braune Erde | Daniel Höra

Ich wollte mir nicht ausmalen, was sie mit mir anstellen würden, wenn sie mich erwischten. Sie würden mich nicht schonen, das war mir klar. Ich wusste zu viel. - Seite 7


Inhalt:
Der fünfzehnjährige Ben, der nach dem Tod seiner Eltern bei seiner Tante aufwächst, ist gelangweilt vom Leben in dem kleinen vergessenen Dörfchen in Mecklenburg. Nichts ist hier los, ein jeder lebt nur so vor sich hin. Die meisten sind arbeitslos und die Perspektiven stehen schlecht. Auch mit seiner Tante und dessen Familie versteht sich Ben nicht so gut - halten sie ihn doch für einen Spinner, weil er sich immerzu mit seinen Büchern verkriecht und liest. Doch plötzlich erscheinen Fremde im Dorf. Ein Ehepaar, ein weiterer Erwachsener und drei Jugendliche, etwa in Bens Alter. Sie beziehen das alte Herrenhaus und mit ihnen hält ein frischer Wind Einzug ins Dorf. Ben ist fasziniert und er hält sich ständig bei den neuen Dorfbewohnern auf. Plötzlich macht ihm Arbeit Spass und er hört eifrig den Reden und Ansichten von Reinhold, dem Anführer der Familie, zu.

Altdeutsche Namen haben alle und sie leben einen ausgeprägten Gemeinschaftssinn. Ben freundet sich mit den Zwillingsjungs an und streift mit ihnen durch die Wälder. Von ihnen lernt er schießen und sie spielen immer "Krieg". Die Gutshausbewohner gewinnen die Bürger des Dörfchens für sich durch ihr Engagement, ihre Hilfsbereitschaft und durch das Aufleben lassen der großen Gemeinschaft. Allen, auch Ben, entgeht dadurch die große Gefahr, in die sie sich unbewusst begeben. Selbst nachdem die Zwillinge Ben auf eine rechtsextremistisch orientierte Demo mitnehmen, verschließt er die Augen vor der Wahrheit. Denn was alles so harmlos beginnt, wird plötzlich bitterer Ernst. Als die Geschehnisse eskalieren, muss Ben plötzlich um sein Leben laufen ...


"Es hatte sich einiges verändert, seitdem Reinhold, Uta und die anderen im Dorf waren. Daran konnte doch nichts falsch sein." Seite 110

Handlung & Charaktere:
Daniel Höra hat sich mit seinem neuen Jugendbuch "Braune Erde" erfolgreich an ein sozialkritisches Thema herangewagt, das auch heute noch sehr aktuell ist und nicht unterschätzt werden sollte. "Braune Erde" beschäftigt sich mit dem unterschwellig aktiven Rechtsradikalismus in unserem Land, der gerade dort infiltriert, wo nahrhafter Boden auf ihn wartet. Erzählt wird diese Geschichte aus Ben's Sicht in der ich-Form, was dem Leser einen guten Einblick in seine Gedankenwelt liefert. Gerade dies ist sehr wichtig um zu verstehen, warum Ben so handelt, was ihn dazu antreibt, was ihn bewegt.

Ben wächst in diesem vergessenen Dörfchen auf, hat keinerlei Perspektiven, sieht täglich die viele Arbeitslosigkeit um sich herum, die kläglichen Versuche einer sinnlosen Umschulung ( das halbe Dorf wurde zu Busfahrern u geschult...) und sucht nach Möglichkeiten, aus diesem trostlosen und unbefriedigendem Alltag auszubrechen. Und dann erscheinen plötzlich Leute, die ihm eine neue Perspektive zeigen. Uta und Reinhold stellen für ihn eine Familie dar, die er nie hatte. Sie unterhalten hin, fordern ihn, ziehen vor allem Interesse an ihm - sie hören im zu. Und ehe Ben sich versieht, hört er ihnen zu, ihren Reden, ihren Gedanken. Und so wie Ben ergeht es auch vielen anderen, die bewusst oder auch unbewusst auf der Suche nach etwas Neuem waren. Wo verbreitet man am besten seine Ideen und Vorstellungen? Dort, wo man willige Zuhörer findet...

Es ist zum Teil sehr beklemmend und auch beängstigend zu lesen, wie schnell und doch so plausibel sich alles entwickelt in dem Dorf, wie geschickte Manipulation sich auswirken kann. Das Buch stimmt unglaublich traurig und auch sehr nachdenklich. Denn nichts liest sich an den Haaren herbeigezogen, sondern - leider - erscheint die Geschichte immer wieder authentisch. Man kann sich gut vorstellen, dass dies so auch zur heutigen Zeit so immer wieder passieren könnte. Auch Bens Geschichte spielt zur heutigen Zeit. Facebook ist ein Thema und auch die Berliner Demonstration ist aus dem tatsächlichen Leben gegriffen. Viele authentische Merkmale lassen einen beim Lesen oftmals eine Gänsehaut bekommen. 

Ben wünscht sich einfach nur, dazuzugehören, und so nimmt er nur selektiv Gespräche in sich auf. Er hört unbewusst nur das, was er wirklich hören mag. Er verschließt die Augen vor den teilweise geradezu offensichtlichen Äußerungen und Handlungen seiner neuen Freunde. Er hat immer eine passend Ausrede parat und redet sich die Dinge selbst so ein, wie er sie verkraften kann. Doch irgendwann macht es auch in seinem Kopf dieses besagte "Klick" und er kommt immer wieder ins Grübeln. Ben wacht auf, wenn auch sehr langsam. Zu langsam ...


"Ich konnte meinen Blick nicht von meinem Spiegelbild lösen. Der Typ auf der anderen Seite war mir fremd. Wo kam der plötzlich her?Und wo war Ben?" Seite 214

Mein persönliches Fazit :
Daniel Höra hat nach den schon erfolgreichen Jugendromanen "Gedisst" und "Das Ende der Welt" nun einen äußerst gelungenen sozialkritischen Jugendroman vorgelegt, der mich trotz des sehr erschütternden Themas fesselte. Ein Jugendroman, der unglaublich zum nachdenken und mitdenken anregt und der für viel Gesprächs- und Diskussionsstoff sorgt.
Ein Buch, das definitiv nicht nur für Jugendliche, sondern auch für Erwachsene sehr gut geeignet ist und dessen Thema ernst genommen werden sollte. Meiner Meinung nach würde sich dieser Roman auch sehr gut für die Schullektüre eignen, denn es ist sehr anschaulich aufgearbeitet und fordert regelrecht, sich mit diesem Thema bewusst auseinanderzusetzen. Ich persönlich habe noch lange nach dem Zuschlagen des Buches über die Geschehnisse nachgedacht und die Geschichte verarbeitet. Eine absolut empfehlenswerte Lektüre.

© Rezension: Alexandra Zylenas

Über den Autor:
Daniel Höra, geboren in Hannover, war Möbelpacker, Altenpfleger, Taxifahrer und TV-Redakteur. Heute lebt er als freier Schriftsteller in Berlin. 2009 erschien bei Bloomsbury K&J der von der Presse hoch gelobte Jugendroman "Gedisst", 2011 der dystopische Roman "das Ende der Welt".

[alexandra]

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